Judgement REVIEW

Das Erstaunen war groß, als Sega im Zuge der Festnahme von Schauspieler Pierre Taki im März 2019 den Verkauf von Judge Eyes in Japan vorübergehend gestoppt hat. Der in seinem Heimatland durchaus für sein, sagen wir einfach mal verwegenes Image, berüchtigte Taki wurde wegen des Verdachts von Kokainbesitz verhaftet, was wiederum zur Folge hatte, das nahezu alle Werke, an denen der auch als Synchronsprecher und Musiker auftretende Künstler beteiligt war, aus dem Verkauf gezogen wurden. Darunter eben auch das aktuelle Spiel der Yakuza-Macher. Eine in diesem Fall nicht unübliche Reaktion, die aus westlicher Perspektive befremdlich erscheinen mag. Mittlerweile ist Judge Eyes zwar wieder in Japan erhältlich, Taki´s Rolle im Spiel als eine der wichtigsten Nebenfiguren wurde jedoch durch einen anderen Darsteller neu besetzt. Schöne, nicht mehr ganz so neue digitale Welt, in der Figuren im Nu ausgetauscht werden können und die Kontroverse nicht mehr, als eine Randnotiz bleiben wird. Auf die westliche Veröffentlichung des Spiels unter dem Namen Judgement hat die ganze Angelegenheit keinen spürbaren Einfluss, sodass der angepeilte Release am 25. Juni 2019 eingehalten werden kann.

Geächtet

Im Zentrum von Judgement steht der ehemalige Rechtsanwalt Takayuki Yagami, der sich mittlerweile als Privatermittler in Kamurocho seinen mäßigen Lebensunterhalt verdient. Yagami hat seinen einstigen Beruf an den Nagel gehängt, nachdem ein von ihm des Mordes freigesprochener Klient kurze Zeit später seine Lebensgefährtin brutal ermordet hat, was wiederum Zweifel an dem ersten Freispruch nach sich gezogen hat. Die Medien stürzten sich nicht nur auf den Täter Shinpei Okubo, sondern auch auf Yagami. Drei Jahre nach diesen Vorfällen hält ein Serienmörder das Tokyoter Rotlichtviertel Kamurocho in Atem. Die Opfer: ausnahmslos Angehörige der Yakuza, die nicht nur unter extremer Gewalteinwirkung ermordet, sondern denen auch die Augen ausgestochen wurden. Yagami nimmt sich dem Fall an, auch da sein eigenes Umfeld nach und nach immer mehr in die Sache reingezogen wird und sich eine Verbindung zu den Taten von Shinpei Okubo auftut…

Obwohl sich Judge Eyes als Spin-Off zur mittlerweile auch außerhalb Japans ziemlich populären Yakuza-Reihe verhält, wird sich im Vergleich zu vorherigen Ablegern so gut wie gar nicht auf die Hauptreihe und ihre Figuren bezogen. Damit stellt Entwickler Ryu ga Gotoku Studio die Weichen für einen Neuanfang und erzählt eine komplett eigenständige Geschichte mit frischem Cast.

Eigene Duftmarken werden vor allem in narrativer Hinsicht gesetzt. Der Plot gibt sich überraschend düster und ist eine spannende Vermengung aus Crime-Drama und Film Noir, wobei der vom Entwickler typische over-the-top Humor immer noch durchscheint, wenn auch wesentlich spärlicher. Je weiter die Geschichte fortschreitet, desto mehr entwickelt sie sich zu einem bemerkenswert komplexen Gesellschaftsbild, in welchem Themen behandelt werden, die von Videospielen in dieser Größenordnung bisher noch nicht aufgegriffen wurden. Das ist gerade im letzten Drittel ein ziemlicher Brocken, der durchaus seine Längen mit sich bringt hat. Obwohl zuvor gewonnene Erkenntnisse zu häufig doppelt und dreifach wiederholt werden und die Regie zuweilen etwas holprig ausfällt, bleibt die Geschichte dank gut gesetzter Wendungen und der gewohnt kompetenten Umsetzung bei den Filmsequenzen aber fesselnd.

Moloch Kamurocho

Interessant ist der tonale Wechsel. Auch wenn sich Yakuza bemüht die japanische Unterwelt kritisch darzustellen, so ist eine gewisse Romantisierung mit den Angehörigen der unterschiedlichen Organisationen und ihren Weltbildern nicht von der Hand zuweisen. Judgement zieht deutlich schärfere Konturen und ist nicht zuletzt in der Darstellung von Gewalt drastischer. Und auf Kamurocho, dem seit dem ersten Yakuza stetig wiederkehrenden Hauptschauplatz, wird geradezu ein Abgesang eingestimmt. Es ist nicht mehr der quirlige Ort, an dem auch die ausgestoßenen der Gesellschaft einen Platz finden können, Kamurocho ist vielmehr ein Moloch, der die schlimmsten Seiten der Menschen hervorbringt und sie als kaputte Wesen ausspuckt. Zwar wird diese in der Hauptgeschichte angestimmte Perspektive nicht zuletzt durch die oft absurden bis hin zum ulkigen Sideqeuests immer wieder gebrochen, dennoch war ich von einigen Darstellungen erstaunt und letztlich angetan, da man tatsächlich den Eindruck vermittelt bekommt eine andere Sicht auf die Dinge zu erhalten.

Anwalt mit Prügel-Lizenz

Während Ryu ga Gotoku Studio narrativ einige Perspektivwechsel einläutet, gibt man sich im spielerischen Kern wesentlich erwartbarer. Auch als Takayuki Yagami läuft man durch das offen gestaltete Kamurocho und klappert die Stadt nach Haupt- und Nebenaufgaben sowie allerlei Beschäftigungen ab. In den Arcades warten diesmal etwa eine komplett spielbare Version von Virtua Fighter 5 und eine Kopie von Segas House of the Dead Reihe namens Kamuro of the Dead, sowie wiederkehrende Klassiker wie PuyoPuyo, Darts und Space Harrier. Neu sind das Brettspiel VR Paradise und die Möglichkeit an Drohnen-Rennen teilzunehmen, außerdem gibt es nach wie vor in den verschiedenen Spielhöllen der Stadt die Möglichkeit in westlichen und japanischen Glücksspielen Geld zu verbraten.

Zwischen all diesen Beschäftigungen wird sich gewohnt brachial und häufig auf den Straßen der Stadt gekloppt. Denn natürlich zieht auch Yagami Schläger, Delinquenten und andere Störenfriede wie magisch an und antwortet entsprechend auf die Aggressoren. Diesmal kann man auf zwei Kampfstile (Kranich und Tiger) zurückgreifen, die sich on the fly durchwechseln lassen und aufgrund der hohen Geschwindigkeit eine ziemlich launige Alternative zu Kazuma Kiryu und Co. sind. Überhaupt ist Yagami ungemein wendig, was sich nicht nur in den teils komplett neuen Spezialmanövern, sondern auch in der Möglichkeit von Wänden abzuspringen und dabei weitere Moves zu vollführen zeigt.

Detektiv mit Spürnase

Zusätzlich gibt es diverse Mechaniken, die das Detektiv-Thema unterfüttern. In einigen Missionen muss Yagami beispielsweise Zielpersonen durch Kamurocho verfolgen. Da er sich nicht entdecken lassen darf und die Zielpersonen allesamt misstrauisch sind, muss ein gewisser Abstand gehalten werden, auch kann man sich hinter Wänden, Autos und anderen Objekten verstecken. Oft zieht sich das Verfolgen aber enorm in die Länge, sodass es schnell zur mühsamen Pflicht verkommt. Umgänglicher ist hingegen das Untersuchen von Tatorten. Hier wechselt das Spiel meist in die Ego-Sicht und lässt uns die eng abgesteckten Areale auf Hinweise hin untersuchen. Gelegentlich muss man gesammelte Beweise auch in Gesprächen oder Verhören vorbringen, was mich wiederum an die Ace Attorney Spiele erinnert hat. Ganz nett ist auch das Knacken von Schlössern, was ein bisschen Fingerspitzengefühl und Geduld erfordert. Unterm Strich sind die Ergänzungen zum Kerngameplay nett, bieten aber weitaus weniger Mehrwert, als ich mir im Vorfeld erhofft habe.

Freundschaften, Liebe und mehr

Was vorher die Substories waren, sind jetzt die Nebenfälle. Gemeint sind die mal kürzer, mal länger ausfallenden Nebenmissionen, die diesmal in Form von Zufallsevents und von Aufträgen vorhanden sind. Letztere nimmt man entweder im Büro und der Stammkneipe von Yagami sowie bei seinem ehemaligen Arbeitgeber an. Die Nebenfälle sind nicht nur eine der besten Arten, um Geld zu verdienen, auch trifft man auf diese Weise viele Bewohner der Stadt, mit denen man sich anfreunden kann. Das bringt mitunter Annehmlichkeiten mit sich. Freundet man sich etwa mit einem als Ninja kostümierten Amerikaner an, der nach strengeren Doktrinen lebt, als es Ninja wohl je getan haben, unterstützt dieser einem später in Straßenkämpfen, sofern er in der Nähe ist. Wieder andere Bekanntschaften halten auch schon einmal Informationen bereit, die einem weiterhelfen. Mit einigen Damen, die Yagami trifft, kann man gar eine romantische Beziehung eingehen und auf Dates gehen, sexuelle Inhalte sind aber nicht vorhanden, stattdessen läuft das Ganze sehr zugeknöpft ab. Die Qualität der Nebenfälle schwankt, die Ausreißer nach unten halten sich aber in Grenzen und sind meistens sowieso schnell abgehandelt. Inhaltlich lässt man teilweise wieder ziemlich vom Leder und liefert vor allem alberne, manchmal aber auch tragische und herzerwärmende Nebenplots. Mein Favorit ist eine Reihe, in der Yagami Jagd auf einen Ring Perverser macht, von denen sich ein Po-Fetischist namens Ass Catchem (frei nach Ash Ketchum aus Pokémon) als besonders amüsanter Prügelknabe in mein Gedächtnis gebrannt hat.

In Kamurocho spricht man jetzt auch Englisch und Deutsch

Wie ernst es Sega mit Judgement meint, merkt man nicht zuletzt an den Aufwand, der in die Lokalisation gesteckt wurde. Seit Yakuza 2 hat man sämtliche Spiele der Reihe im Westen mit den japanischen Sprechern und englischen Untertiteln ausgeliefert, für Judgement hat man hingegen wieder englische Sprecher ins Tonstudio geholt. Und diese machen ihren Job ziemlich gut, wobei ich aus persönlicher Präferenz den Hauptteil des Spiels mit dem originalen Cast verbracht habe. Darüber hinaus hat man die Untertitel ebenfalls in verschiedene Sprachen übersetzt, darunter auch ins Deutsche. Offenbar hat man sich hier aber am englischen Skript orientiert, was gerade dann auffällt, wenn Übersetzungen nicht ganz sinnig sind, auch haben sich einige Rechtschreibfehler in die an sich aber solide Übersetzung geschlichen.

Als technisches Fundament dient erneut die Dragon-Engine, die mittlerweile (bis auf wenige Ausnahmen) ziemlich flüssig auf meiner normalen PlayStation 4 läuft und die Kinderkrankheiten vom ersten Einsatz in Yakuza 6 beinahe komplett hinter sich gelassen hat. Das aus diesem große Teile der Assets wiederverwertet wurde, ist nicht weiter schlimm, denn zum Bekannten gesellen sich ja auch noch einige neue Gebäude und Orte und zumindest ich fühle mich mittlerweile in Kamurocho so zuhause, das ich jeden weiteren Ausflug entsprechend genießen kann und nach wie vor gerne in das mir Vertraute abtauche.

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Pro
  • spannender Plot
  • Kerngameplay gewohnt stimmig umgesetzt und um neue Features erweitert
  • nach wie vor launiges Gameplay

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Kontra
  • letztes Drittel der Story zu redselig
  • neue Detektivspielereien hit & miss

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Pro & Kontra

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Pro
  • spannender Plot
  • Kerngameplay gewohnt stimmig umgesetzt und um neue Features erweitert
  • nach wie vor launiges Gameplay

thumbs-up-icon

Kontra
  • letztes Drittel der Story zu redselig
  • neue Detektivspielereien hit & miss

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Spiel Bewertung
Singleplayer
84
84
Gut
-
Multiplayer

FAZIT

Ryu ga Gotoku Studio wagt nicht den radikalen Schnitt, sondern modelt die bewährte Formel für Judgement lediglich ein bisschen um. Das funktioniert mal fantastisch, wie man vor allem an der spannenden, wenn auch zum Ende hin etwas zu ausufernden Handlung sieht. Nicht nur werden hier spannende Themenkomplexe aufgemacht, auch funktionieren die neuen Figuren, allesamt Protagonist Yagami, fantastisch in dieser über die letzte Dekade aufgebauten Welt. Bei den neuen Spielmechaniken sieht es hingegen ein bisschen anders aus. Das Knacken von Schlössern und das recht simpel gestrickte Untersuchen von Tatorten ist launig, das mühselige Verfolgen von Zielpersonen hingegen nicht. Die neuen Minispiele, allen voran das Drohnenrennen, sind eine nette Abwechslung vom Kerngameplay, welches gewohnt gut umgesetzt worden ist. Insbesondere der Kampfstil von Yagami ist eine gelungene Ergänzung und und macht die Auseinandersetzungen noch eine Spur dynamischer. Alles in allem bin ich überaus gut unterhalten worden und hätte nichts dagegen, wenn Ryu ga Gotoku Studio in einigen Jahren noch einmal einen neuen Fall für Yagami basteln würde.

- Von  Adrian

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