Gray Matter REVIEW

Für harte Fans von Jane Jensen (Gabriel Knight-Reihe) musste das Ende 2010 veröffentliche Point & Click-Adventure Gray Matter als großer Hoffnungsträger herhalten. Denn seit der Veröffentlichung von Gabriel Knight 3 im Jahre 1999 gab es kein wirklich nennenswertes Adventure-Spiel mehr von der US-Amerikanischen Gamedesignerin. Dementsprechend wurden falsche Erwartungen zusammengesponnen, von wegen das Gray Matter in die Fußstapfen von Gabriel Knight treten wird usw. Natürlich wurden diese zusammenphantasierten Erwartungen nicht erfüllt, da das vom französischen Entwicklerstudio Wizarbox programmierte Adventure wesentlich bodenständigere Themen verfolgt als die Abenteuer des blondhaarigen Schattenjägers. Ich persönlich kannte die Gabriel Knight-Spiele noch nicht, als ich seinerzeit Gray Matter spielte, was mir freilich die Gelegenheit gab unbefangen an die Sache heranzugehen. Aber auch heutzutage, nachdem ich die hochgelobten Klassiker von Jane Jensen nachgeholt habe, verstehe ich nicht, warum man Gray Matter unbedingt mit einer völlig anderen Serie vergleichen muss. Aber wie dem auch sei, schauen wir uns doch einfach mal an, was Gray Matter zu bieten hat – und zwar völlig unabhängig von unangebrachten Erwartungen.

Zauberei und Wissenschaft

Oktober 2005. Samantha „Sam“ Everett ist eine US-Amerikanische Zauberkünstlerin, welche auf der Suche nach dem elitären Daedalus-Club ganz Europa bereist. Der Daedalus-Club ist der exklusivste Zauberer-Klub auf der Welt und soll sich irgendwo in London befinden. Als Sam mit ihrem schrottigen Motorrad zu nächtlicher Stunde nach London unterwegs ist, gerät sie nicht nur in ein Unwetter, sondern ihr Fortbewegungsmittel gibt auch noch den Geist auf. Glücklicherweise befindet sich in der Nähe ein Anwesen. Sam erlebt mit, wie eine Studentin von der düsteren Prämisse des Herrenhauses in die Flucht geschlagen wird und kommt auf eine wahnwitzige Idee: Sie gibt sich als Studentin aus und schmuggelt sich somit als bezahlte Assistentin in die gruselige Bleibe, welche, wie wir später erfahren, dem hartherzigen Wissenschaftler David Styles gehört. Sam will sich eigentlich nur orientieren, etwas Kohle abgreifen und nach dem Daedalus-Club weiterforschen, bevor sie Richtung London weiterzieht. Aber ehe sie es sich versieht, wird sie in die Experimente von Dr. Styles hineingezogen.

Dr. Styles ist ein Neurobiologe, der es sich in den Kopf gesetzt hat Kontakt zur Geisterwelt aufzunehmen, oder besser gesagt zu seiner verstorbenen Frau Laura. Vor ca. 3 Jahren ist diese bei einem Autounfall verbrannt und David selbst zog sich, beim vergeblichen Versuch Laura zu retten, üble Brandnarben auf der linken Hand und vor allem auf der linken Gesichtshälfte zu. Besagte Narben verleiteten David dazu sich mit Handschuh und Maske zu kleiden. Vor allem die Maske gibt ihm dabei ein gruseliges „Phantom der Oper“-Aussehen, welches obendrein mit einem entsprechenden Image bei der örtlichen Bevölkerung einhergeht. Styles lebt in der Nähe von Oxford und erteilt Sam den Auftrag sechs Studenten für seine nächtlichen Gehirnscan-Versuche anzuheuern. Und so beginnt Samantha notgedrungen diverse Drecksarbeiten für Dr. Styles zu verrichten, wobei sie jedoch tunlichst darauf achten muss ihr Lügenkonstrukt aufrecht zu erhalten. Doch als sie erfährt, dass David unter dem Tod seiner Frau leidet, beginnt sie Empathy für den gebeutelten Wissenschaftler zu entwicklen, denn auch Sam hat ihre Eltern bei einem tödlichen Autounfall verloren. Und dann sind da ja noch die Studenten, mit denen Samantha, eher wiederwillig, sozialen Kontakt aufbaut und beinahe schon Freundschaften schließt.

Doch dann geschehen seltsame Phänomene in der Umgebung von Oxford. Unerklärliche Ereignisse bei denen sogar Leute zu schaden kommen. Seltsamerweise finden besagte Phänomene zur selben Zeit statt, während Dr. Styles seine, eigentlich harmlosen, Gehirnscan-Experimente abhält. Was hat es mit diesen Phänomenen auf sich? Werden sie wirklich durch die Experimente verursacht? Sind sie ein Versuch der verstorbenen Laura Kontakt mit David aufzunehmen? Ist es ein Sabotageakt eines missgünstigen Wissenschaftler-Kollegen? Oder handelt es sich um einen fiesen Zaubertrick, damit ein konkurrierender Zauberkünstler in den Daedalus-Club aufgenommen wird? Samantha setzt sich in den Kopf das Geheimnis der Phänomene zu entschlüsseln, um Davids Ruf zu schützen. Darüber hinaus will sie freilich weiterhin dem Daedalus-Club beitreten, wofür sie eine Reihe vertrackter Rästel des örtlichen Zauberer-Ladens lösen muss. Dr. David Styles forscht währenddessen unermüdlich weiter, um seine verstorbene Frau irgendwie zurückzugewinnen.

Die Handlung von Gray Matter ist definitv eine Stärke des Adventures. Vor allem der Kontrast zwischen den beiden spielbaren Hauptcharakteren Samantha und David ist interessant. Samantha mag zwar eine Zauberkünstlerin sein, glaubt jedoch nicht an übersinnliche Begebenheiten, sondern sieht überall nur Tricks und Lügen. David hingegen ist zwar ein Wissenschaftler, glaubt jedoch fest an den übersinnlichen Aspekt des menschlichen Gehirns, und versucht diese Theorie in die Tat umzusetzen, um seine verstorbene Frau wiederzuerlangen. Auch die Nebencharaktere wurden liebevoll umgesetzt. Ob nun Dr. Styles Haushälterin, seine Wissenschaftler-Kollegen, der mysteriöse Besitzer des Oxforder-Zauberladens oder die Studenten: Sie fügen sich alle sehr gut in die Geschichte ein und bringen alle ihre eigenen Persönlichkeiten mit.

Die Thematik des Übersinnlichen wird darüber hinaus auf ziemlich bodenständiger Basis behandelt. Es gibt einige wissenschaftliche Dialoge mitzuverfolgen und auch entsprechende Dokumente zu lesen. Hierdurch kann man sogar etwas über das menschliche Gehirn und dessen Aufbau lernen, wenn man die Motivation mitbringt. Spannende Theorien kommen natürlich auch zur Sprache.

Des Weiteren bekommt man hier auch einen kleinen Einblick in die faszinierende Welt der Zauberkünstler, was im Grunde genommen auch nur eine Form der Wissenschaft darstellt. Aber so ganz ohne übernatürlichen Begebenheiten kommt das Spiel dann doch nicht aus. Da konnte sich Jane Jensen dann wohl doch nicht vollends zurückhalten. Aber das muss ja auch nichts schlechtes sein.

Fade Zaubertricks aber dafür sehr vorbildliche Hilfefunktionen

Wenig überraschend spielt sich Gray Matter mehr oder weniger wie jedes andere Point & Click-Adventure auch. Man klickt sich vorwiegend mit der Maus durch die Hotspots der Renderscreens, um neue Gegenstände ins Inventar zu bekommen. Diese werden manchmal benötigt, um Problemstellungen zu lösen und können in seltenen Fällen auch mal untereinander kombiniert werden. Etwas ungewohnt ist hingegen die Handhabung der Objekte. Gray Matter verwendet nämlich kein Drag & Drop-System wie die meisten anderen Adventures dieser Machart. Stattdessen muss man den einzusetzenden Gegenstand „aktiv“ schalten, um mit ihm arbeiten zu können (wird durch ein kleines Hand-Symbol neben der ausklappbaren Inventarleiste visualisiert). Durch dieses System, welches offensichtlich auch vor dem Hintergrund der Xbox 360-Konsolenversion entworfen wurde, wirkt auch die Kombination von Gegenständen untereinander recht unbeholfen. Aber man gewöhnt sich sehr schnell daran und danach funktioniert es auch gut genug.

Freilich stehen auch Dialoge mit NPCs auf dem Spielplan. Wirklich interessant werden diese Dialoge aber erst durch Sams Taschenspieler-Zaubertricks. Sie besitzt ein Buch mit einigen Zaubertricks für Kinder, die im Spiel auch ab und zu angewendet werden müssen, um einen NPC zu täuschen oder ihm einen Gegenstand abzuluchsen. Um den Zaubertrick umzusetzen muss man aber oftmals erst mal die notwendigen Gegenstände organisieren bzw. erwerben und dann in einem speziellen Zauberinterface die einzelnen Schritte zur Durchführung des Tricks anordnen. Das klingt jetzt zwar interessant und erweckt anfangs auch den falschen Eindruck spielerischen Anspruchs, aber tatsächlich steckt da nicht viel Substanz dahinter. Man muss lediglich stur die Anweisungen des Zauberbuchs befolgen, mehr nicht. Mit Nachdenken und Rätsel lösen hat das also nichts zu tun. Aber es ist trotzdem schön zu sehen, dass man versucht hat Sams Hintergrund ins Gameplay zu integrieren.
Etwas anspruchsvoller sind da schon Dr. Styles Spielabschnitte. Dieser muss immer wieder mal mit seinen wissenschaftlichen Apparaturen herumhantieren, was zwar anfangs knifflig erscheinen mag, aber mit etwas Herumprobieren und Nachdenken dann doch sehr gut gelöst werden kann. Leider ist Styles nur die sekundäre Spielfigur. Von den acht Kapiteln im Spiel gehen nur Drei an David. Und diese Kapitel sind obendrein etwas kürzer als die von Samantha. Der allgemeine Umfang von Gray Matter ist mit ca. 13 Stunden Spielzeit jedoch absolut zufrieden stellend.

Ein Punkt der mir in Gray Matter besonders gut gefällt ist der relativ angenehme Schwierigkeitsgrad. Das Spiel lässt sich ohne Komplettlösung durchspielen. Das liegt auch in den sehr vorbildlichen und nützlichen Hilfsmitteln begründet. Zunächst einmal gibt es freilich eine Hotspotanzeige. Besagte Hotspotanzeige darf man dabei per Knopfdruck permanent aktivieren bzw. deaktivieren. Es ist also nicht so wie in anderen Adventures, wo die Anzeige nur für ein paar Sekunden aufleuchtet und dann wieder verschwindet. Leider de/aktiviert sich die Anzeige immer mit ein paar Sekunden Verzögerung, was anfangs für etwas Verwirrung sorgt und wohl ein technischer Fehler ist.
Abseits davon bietet das Spiel auch noch ein umfassendes Questlog, welches jede Kapitel-Aufgabe fein säuberlich auflistet und sogar den Fortschritt besagter Aufgabe prozentual darstellt. Hieran erkennt man auch, dass Gray Matter nicht ganz so linear ist wie andere Adventures, da man die unterschiedlichen Aufgaben, zumindest teilweise, nach eigenem Gusto abwickeln darf.

Zu guter Letzt gibt es dann noch die Stadtkarte. Diese dient freilich dazu schnellstmöglich die unterschiedlichen Ortschaften Oxfords anzusteuern und somit die virtuelle Latscherei zu minimieren (Doppelklicks für Ein- und Ausgänge oder zum Rennen gibt es auch. Nur leider arbeiten diese beide Funktionen einen Tick zu träge). Aber abgesehen davon dient die Karte auch als Indikator dafür, an welchem Ort man noch etwas zu erledigen hat. Die Schriftzüge der Ortschaften werden nämlich farbcodiert. Gold steht für offene Hauptaufgaben, Weiß für offene Nebenaufgaben (sind rein optional) und Grau signalisiert, dass man an diesem Ort nichts mehr zu tun hat und folglich ignorieren kann.

Diese Hilfeoptionen sind sehr hilfreich dabei das Spiel zielgerichtet und ohne lästige Such-Orgien zu spielen. Ganz ohne Sucherei kommt das Spiel dann aber doch nicht aus. Ab der zweiten Spielhälfte gab es doch immer wieder Stellen, wo ich ziellos herumirrte, um den nächsten Story/Quest-Trigger auszulösen. Hat mich aber auch nicht davon abgehalten das Spiel aus eigener Kraft zu lösen (was für mich ganz einfach ein sehr, sehr wichtiger Faktor in einem Adventure ist).

Grafik und Sound

Grafisch gehört Gray Matter zu den 2,5D-Adventures. Das bedeutet, das 3D-Charaktermodelle vor der Kullisse von 2D-Renderbildern agieren. Wie in den meisten 2,5D-Adventures gestaltet sich die Grafik auch hier als zweischneidiges Schwert. Während die Renderbilder wunderschön gezeichnet sind und sehr viel zum visuellen Genuss beitragen, wirken die steif animierten 3D-Charaktermodelle eher befremdlich.

Gesonderte Zwischensequenzen gibt es auch, diese setzen sich aus handgezeichneten Artworks zusammen, welche die beiden Protagonisten Sam und David sehr attraktiv wirken lassen. Damit entsteht jedoch auch ein unangenehmer Kontrast, denn die Ingame-Modelle der Spielfiguren wirken mit ihren toten Stilaugen alles andere als attraktiv. Das wäre auch gar nicht so schlimm, wenn das Spiel nur nicht die Konterfeis dieser 3D-Modelle in den Textboxen positionieren würde. Man bekommt also in jedem einzelnen Dialog die wirklich hässlichen 3D-Visagen der Spielfiguren und NPCs aufs Auge gedückt. Das war echt keine gute Idee der Entwickler. Daraus entsteht leider auch ein klarer Stilbruch. David sieht in den Artwork-Zwischensequenzen z.B. wie ein gutaussehender Mann anfang 30 aus. Sein Ingame-Modell wirkt hingegen wie ein fischäugiger Kerl mitte 40.

Glücklicherweise entschädigen die schönen Ortschaften rund um Oxford und des Daedalus-Clubs für diesen ärgerlichen Umstand. Auch die hohen Auflösungsstufen des Programms gelten als Entschädigung. Zuletzt habe ich das Spiel unter 1920×1080 Bildpunkten gespielt, was für ein Adventure von 2010 schon sehr löblich ist.
Weniger löblich sind hingegen die Grafik-Glitsches der 3D-Modelle. Da kann es auch mal passieren, dass eine Ingame-Zwischensequenz fehlerhaft abgespielt wird (David war während einer Dialog-Sequenz nicht zu sehen), oder die spärlich vertretenen Szenerie-NPCs ineinander laufen und verkeilen, was freilich entsprechend dämlich aussieht. An dieser Stelle wäre etwas Feinschliff von Seiten der Entwickler wünschenswert gewesen.
Völlig ohne Macken kommt hingegen der Soundtrack daher, welcher sich sehr schön anhört und sehr viel zur Stimmung beiträgt. Er passt wirklich hervorragend zum Spiel. Jane Jensen nutzt ihre aktuelleren Adventures gerne, um den Soundtrack der Band „The Scarlett Furies“ einzubringen. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Akt der Vetternwirtschaft, denn Jensens Stieftochter ist die Leadsängerin dieser Band. Man mag davon halten was man will, aber der Soundtrack passt, wie gesagt, wirklich gut zu Gray Matter, von daher geht das auch in Ordnung. Bei einem harten Krimi-Thriller mit Torture-Horror-Elmenten wie „Cognition“ sieht das freilich wieder ganz anders aus …
Auch an der hochwertigen Sprachausgabe habe ich nichts zu kritisieren. In akustischer Hinsicht wurde eigentlich alles richtig gemacht.

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