Shadow of the Colossus REVIEW

Ein junger Mann reitet inmitten der Nacht auf seinem Pferd einem fernen Ziel entgegen. Wie lange ist er schon unterwegs? Welches Zeil hat sein Ritt? Und warum durchstreift er alleine ein unwirtliches Land, in dem keine andere Menschenseele zu leben scheint? Tage, vielleicht sogar Wochen, nachdem sich der Reisende aufgemacht hat, erreicht er schließlich einen riesigen Bau, der in längst vergangenen Zeiten einmal als Tempel gedient zu haben scheint. Als der Junge von seinem Pferd steigt merke ich erst, dass da noch jemand bei ihm ist: ein junges Mädchen. Doch ihre Augen sind geschlossen, ihr Körper leblos. Behutsam nimmt der Junge den toten Körper von seinem Gaul und legt ihn auf einen Altar. Wer war sie? Seine Schwester? Seine Geliebte? Zumindest der Grund seiner Reise wird nun klar. Hier, am Ende der Welt so heißt es, soll die Möglichkeit existieren, den Tod rückgängig zu machen. Ein altes, wie verbotenes Ritual soll dies ermöglichen und ist die letzte Hoffnung des Jungen. Schließlich erklingt eine Stimme und durchbricht die Stille. Was sein Anliegen sei, fragt sie. Die Seele der Verstorbenen zurückzuholen, antwortet der Junge namens Wander. Nein, dies sei nicht möglich, wird ihm entgegnet. Eine Möglichkeit gäbe es aber doch. 16 Kolosse leben in dem Land, zerstöre Wander sie, so soll ihm sein Wunsch gewährt und das tote Mädchen zurück ins Reich der Lebenden geholt werden…

 

Schatten der Vergangenheit

Bluepoint Games haben Shadow of the Colossus von Grund auf neu programmiert. Inhaltlich sind sich PS2 Original und die Neuauflage auf PS4 identisch.

Den Pakt eingewilligt, beginnt auch für mich die Reise. Fortan übernehme ich die Kontrolle über Wander und mache mich auf, die über das Land verstreuten Riesen ausfindig zu machen. Die Informationen über ihren Aufenthaltsort sind wage, die aufrufbare Weltkarte rudimentär, Kompass oder gar blinkende Markierungen: Fehlanzeige. Das einzige Hilfsmittel zur Orientierung in den schier endlosen Weiten ist das Schwert von Wander, welches, sobald es in die Luft gehoben wird, ein Licht aussendet, das die ungefähre Zielrichtung anzeigt. Der Weg zu den Kolossen ist oftmals lang, nicht selten beschwerlich. Schluchten und Flüsse müssen überwunden, dunkle Höhlen und dichte Wälder durchquert werden. Das die Zeit oft wie im Fluge vorbeigeht, bis man einem der Kolosse gegenübersteht, ist aber nicht zuletzt der betörenden Inszenierung der Spielwelt zu verdanken.

Bluepoint Games, die für Sony bereits zuvor Titel wie das ehemals PS Vita exklusive Gravity Rush auf die PlayStation 4 portiert haben, übertreffen sich mit Shadow of the Colossus selbst. Die Neuauflage des Klassikers von 2005 ist nämlich keine einfache Portierung, kein Remaster, sondern ein vollwertiges Remake. Zwar diente die ursprüngliche PlayStation 2 Version als Grundlage, ansonsten ist die Reinkarnation für die PlayStation 4 aber ein von Grund auf neu programmiertes Spiel inklusive neuer Texturen und Assets. Das in Texas beheimatete Studio lässt den Klassiker von Game Designer Fumito Ueda und dessen Team ICO nicht nur in einem neuen Glanz erscheinen, sondern hievt den Titel zu einen visuell der imposantesten Titel überhaupt. Im Detail könnte man zwar über die etwas seltsamen Gesichtsregungen von Wander und den manchmal hakeligen Animationen meckern, doch jeglicher Anflug von Kritik wird letztlich vom optischen Bombast der Szenerie weggespült.

 

Ueda und seine Golems

Das Remake liefert die vielleicht eine der eindruckvollsten Spielwelten überhaupt. Der eigentliche Star sind aber die Kolosse, die es zu bezwingen gilt.

Die jederzeit frei begehbare Welt beheimatet verschlungene Wälder, weite Wiesen, die sich in einem herrlich lebendigen Grün ausbreiten, karge Sandwüsten mit Stürmen, die einem jegliche Sicht berauben und anderen imposanten Szenerien. Auch die Zeugnisse des ehemals menschlichen (?) Lebens in dem nun verbotenen Land sind zahlreich. Immer wieder stoße ich während meines Abenteuers auf alte Tempelanlagen, kleine Schreine und den Überresten von großen Städten. Unlängst hat die Zeit ihre Spuren an den Bauten hinterlassen, unlängst die Natur sich zurückgeholt, was einst ihres war. Immer wieder frage ich mich, wer hier einst gelebt hat und was zum Untergang der Zivilisation geführt haben könnte. Es ist erstaunlich, wie einfach ich mich in der Spielwelt verlieren konnte.

Und dann sind da ja auch noch die Kolosse, seltsame Geschöpfe, die sich aus verschiedensten Mythologien speisen und doch etwas ganz eigenes sind. Am nächsten kommen sie wohl den Golems aus der jüdischen Literatur und Mystik. Wurden die Kolosse, ähnlich wie die Golems aus den Erzählungen, von Menschenhand geschaffen? Dienten sie einst als Wächter, vielleicht sogar als Waffen? Diese und andere Fragen gingen mir beim Spielen nicht aus dem Kopf und beschäftigten mich auch nach dem Abspann. Shadow of the Colossus erzählt wenig und doch viel. Abgesehen von einem langen Intro und Outro gibt es so gut wie keine Zwischensequenzen. Wander selbst bleibt die meiste Zeit über stumm, die einzige Interaktion findet zwischen ihm und der mysteriösen Stimme im Tempel statt. Ueda ist kein Freund von leicht verständlichen Handlungen. Er verstreut Versatzstücke, die gesucht, gefunden und zusammengesetzt werden wollen.

 

Die Frage nach dem Warum

Aber warum töten man die Kolosse eigentlich? Spätestens wenn ihre Schmerzensschreie erklingen, drängt sich diese Frage ins Gewissen…

Es ist nach wie vor erstaunlich, wie unterschiedlich die einzelnen Kolosse gestaltet sind. Da gibt es etwa ein Schlangenähnliches Wesen, welches unter Wasser seine Bahnen zieht und sich mit Blitzattacken zu Wehr setzt. Ein anderer Koloss agiert hingegen wie eine Raubkatze. Seinen flinken Attacken kann man nur schwer ausweichen, die einzige Schwäche: die Angst vor Feuer. Wieder ein anderer Koloss wirkt dann tatsächlich wie ein Golem. Mehrere Meter ragt er in die Luft, ist bewaffnet mit einem riesigen Schwert und geschützt von einer scheinbar undurchdringlichen Rüstung. Abseits der vielfältigen Gestaltung ist allen Kolossen ihre seltsam anmutende Zusammensetzt gemein. Auf den ersten Blick scheinen sie keine organischen Lebewesen zu sein, denn riesige Steinschichten schützen ihre Körper vor Angriffen. Und doch haben sie verwundbare Stellen, Haut, Haare und Fell. Obwohl sie so unwirklich wirken, wohnt ihnen doch verblüffend viel Leben inne.

So seltsam es für den Außenstehenden klingen mag: ich empfand Mitleid mit den Kreaturen. Eigentlich haben sie mir ja nichts getan, dennoch ziehe ich los, locke sie aus ihrem Schlaf hervor, ziehe ihren Zorn auf mich, nur um sie zu bezwingen und ihnen immer und immer wieder mein Schwert in den Körper zu rammen, bis sie unter Schmerzensschreien zusammenbrechen und sterben. Warum eigentlich? Weil es mir eine Stimme sagt? Weil es das Ziel des Spieles ist?

 

Minimalismus pur

Das Remake wandelt auf den Pfaden des Originals und erlaubt sich keine großen Neuerungen. Das ist auch gut so, denn das einzigartige Erlebnis wird so nicht verfälscht.

Shadow of the Colossus besitzt nicht die emotionale Wucht von ICO oder gar The Last Guardian. Wo Ueda in seinen beiden anderen Werken sehr intime Geschichten um Liebe und Freundschaft erzählt, fällt Shadow of the Colossus aus diesem Raster heraus. Zu dem toten Mädchen etwa wird zu keinem Moment eine Beziehung etabliert, sie ist nicht mehr als der stille Auslöser zur Jagd auf die Kolosse. Und auch wenn ich die Motivation von Wander verstehe, so kann ich sie nicht teilen. Das am Ende dennoch ein zutiefst mitreißendes Erlebnis, mag erstaunen. Es ist die dem Spiel ganz eigene melancholische Stimmung, die es so kein zweites Mal gibt. Es ist seine atemberaubende Landschaft, die Reduzierung auf das Wesentliche, das Aufeinandertreffen mit den Kolossen. Das Spiel ist vollkommen frei von jeglichem Ballast. Zwar kann man im Remake über die Spielwelt verstreute Münzen sammeln, doch sind diese vollkommen nebensächlich und zu keinen Moment forciert in den Fokus gerückt. Zwar gibt es einen fantastischen Fotomodus, der durchaus als Ablenkung vom eigentlichen Spiel taugt, aber dieser ist vollkommen optional und abschaltbar.

Es war eine gute und richtige Entscheidung dem Remake nicht irgendetwas aufzudrängen, was nicht rein gehört. Dafür kann man Bluepoint Games durchaus dankbar sein, denn es ist keine Selbstverständlichkeit. In mancher Hinsicht haben sich die Amerikaner sogar ein bisschen zu sehr am Original orientiert (ob bewusst, oder doch aufgrund technischer Probleme sei mal dahingestellt). Zwar wurde die im Original oftmals kritisierte Steuerung für die Neuauflage deutlich griffiger umgesetzt, dafür hat mir mitunter die Kamera in den gerne mal hektischen Kämpfen zu schaffen gemacht. Aber auch hier steht die Kritik letztlich in keinem Verhältnis zu alledem, was Shadow of the Colossus ansonsten gut macht.

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Spiel Bewertung
Singleplayer
89
89
Gut
-
Multiplayer

FAZIT

In einer Gegenwart, in der Spiele viel zu häufig mit unnötigem Kram vollgestopft sind und stundenlanger Grind so manches Erlebnis vermiesen kann, in der Lootboxen und Games-as-a-Service die Trends der Stunde sind, ist Shadow of the Colossus der komplette Gegenentwurf. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass sich das Remake so nah am Original hält, und doch hätte es anders wohl kaum funktioniert. Bluepoint Games und Auftraggeber Sony haben begriffen, was das Spiel von einst ausgemacht hat. Neuerungen sucht man mit der Lupe, Anbiederungen an den Massengeschmack sind nicht existent. Stattdessen hat man sich auf das Wesentliche konzentriert und dem Abenteuer mit potenter Engine einen atemberaubenden Glanz verliehen, welcher der Reise von Wander eine neue Qualität verleiht. Nein, Grafik ist nicht alles, doch die Art und Weise wie sich die betörenden Kulissen in Shadow of the Colossus positiv auf das Gesamterlebnis auswirken und wie stark sie die melancholische Grundstimmung unterstreichen zeigt, sprechen für sich. Chapeau dafür! Neben der Spielwelt sind die titelgebenden Kolosse ein weiteres Faszinosum. Wenn man so will, ist jeder der 16 Titane ein Level, der Kampf und Rätsel miteinander vereint. Trotz ähnlicher Abläufe ist jeder Koloss einzigartig und erfordert Umdenken und Neuanpassung. Dass mir die Kamera mitunter auf den Keks gegangen ist und ich mich nicht so ganz mit dem neuen Look von Wander anfreunden kann: geschenkt. Denn letztlich habe ich genau das erhalten, was ich schon viele Jahre zuvor einmal bekommen habe: ein einzigartiges Erlebnis, welches mich fasziniert und zum Grübeln gebracht hat, welches mich in seinen Sog gezogen und Raum für Gedanken und Interpretationen eröffnet hat.

- Von  Adrian

Playstation 4
PlayStation 2

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