Gothic II: Die Nacht des Raben Add-on REVIEW

Nach dem großen Erfolg von Gothic II, hat es sich das Essener Entwicklerstudio Piranha Bytes nicht nehmen lassen ein Add-on mit dem Untertitel „Die Nacht des Raben“ nachzureichen. Dieses erschien am 22. August 2003, also ca. 9 Monate nach dem Hauptspiel, und dient nicht nur dazu Gothic II mit neuem Inhalt und kleineren Bugfixes aufzuwerten, sondern auch um den Schwierigkeitsgrad aufzudrehen. Letzteres geschah übrigens auf ausdrücklichen Wunsch der Community, wobei es natürlich immer heikel ist, sich auf die Wünsche einer lautstarken Minderheit zu verlassen. Aber da ich in meinem eigenen Gothic II-Review ja selber die Masse an Skillpunkten kritisierte, mit denen man gegen Ende des Spiels nicht mehr wirklich viel anfangen konnte, sollte ich diesen Aspekt des Add-ons vielleicht nicht allzu sehr monieren.

Dennoch wäre es wohl geschickter gewesen, wenn Piranha Bytes ganz einfach zwei anwählbare Schwierigkeitsgrade zur Auswahl gestellt hätten, mit denen man sich hätte selber aussuchen dürfen, ob man nun einfach nur ein schweres Spiel, oder eben ein schweres Spiel mit erheblichen Risiko der Verskillung in Angriff nehmen möchte.

Da Die Nacht des Raben nicht nur einfach eine neue Oberwelt dranklebt, sondern ebendiese auch noch logisch in den bisherigen Inhalt von Gothic II integriert, sowie Änderungen am Balancing und Schwierigkeitsgrad unternimmt, bleibt einem nichts anderes übrig, als ein neues Spiel von Vorne zu beginnen, um die neuen Ortschaften und Quests zu erleben. Wer keine Lust hat noch mal das gesamte Spiel durchzuspielen, guckt aber dennoch nicht vollauf in die Röhre, denn das Add-on ist dermaßen konzipiert, dass man den neuen Inhalt bereits abwickeln kann, bevor man überhaupt ins Minental zurückkehrt. Lediglich der Beitritt in eine der drei Gilden muss getätigt werden, bevor man endlich Zutritt in die neue Region „Jharkendar“ erhält.

Den Raben rupfen

Bei Jharkendar handelt es sich um einen vergessenen Abschnitt der Insel Khorinis. Hier lebte einst eine alte Hochkultur, welche die Gottheit Adanos verehrte. Dummerweise frevelte die Zivilisation ihrer Gottheit, und wurde zur Strafe mit einer vernichtenden Überschwemmung bestraft. Übrig geblieben sind nur noch ein paar alte Ruinen und diverse Steintafeln, die dem Wissbegierigen bruchstückhafte Auskunft über diese verlorene Zivilisation geben.

Der ehemalige Erzbaron Raven hat seinen Weg nach Jharkendar gefunden. Sein Ziel ist es ein altes Artefakt Beliars zu erringen. Sollte ihm das gelingen, würde dies jedoch erneut den Zorn Adanos heraufbeschwören. Adanos steht für das Gleichgewicht und wird nicht zulassen, dass die böse Gottheit Beliar zu viel Macht erlangt, indem einer von dessen Jüngern (Raven) mit einem von Beliars teuflischen Werkzeugen herumhantiert. Im Endeffekt geht die Gefahr also nicht nur von Beliar und Raven aus, sondern vor allem von Adanos, welcher Khorinis überfluten würde, um Beliar und Raven abzuwatschen. Freilich würden dadurch die Einwohner von Khorinis als Kollateralschäden verbucht werden. Dies ist natürlich absolut inakzeptabel.

Die Wassermagier, treue Anhänger Adanos‘, versuchen derweil den Alarmsignalen nachzugehen, denn Khorinis wird durch Ravens Machenschaften nicht nur von Erdbeben geplagt, sondern auch noch von seiner Banditenbande heimgesucht. Die schwer bewaffneten Banditen belagern nicht nur die Handelswege, sondern haben es auch auf den Kopf des namenlosen Helden abgesehen. Ferner verschwinden in letzter Zeit immer mehr Leute aus Khorinis und angeblich wurden sogar Piraten gesichtet, die sich in der Gegend herumtreiben. Wenn der Held die Wassermagier dabei unterstützen will nach Jharkendar zu gelangen, sollte er versuchen ihrer Geheimorganisation „Ring des Wassers“ beizutreten. Glücklicherweise sind einige Mitglieder des Rings alte Bekannte aus der Strafkolonie des Minenlagers.

Letztendlich läuft das Ganze auf eine Konfrontation mit Raven hinaus. Dummerweise ist der Kerl gar nicht leicht zu fassen, denn er versteckt sich hinter seiner Banditenbande, deren Mitglieder auch viele alte Bekannte des „Alten Lagers“ umfassen. Könnte aber auch eine prima Gelegenheit sein, die ein oder andere offene Rechnung zu begleichen.;)

Neuer Inhalt

Jharkendar entpuppt sich als erfreulich abwechslungsreiches Gebiet, welches neben den verfallenen Dschungel-Ruinen auch noch einen Sandstrand, eine Canyon-Region sowie einen Sumpf zu bieten hat. Hier trifft man auf zwei verfeindete Parteien, die Piraten und die Banditen. Somit erweitert das Add-on Gothic II um insgesamt drei neue Untergilden: Den Ring des Wassers, die Piraten und die Banditen. Und man darf bzw. muss sich allen drei neuen Fraktionen anschließen, um das Add-on durchzuspielen. Ehrensache, dass hierbei auch insgesamt fünf neue Rüstungen bei rausspringen. Sogar Gürtel wurden nun als Ausrüstungsstücke beigefügt. Und die neue Ausrüstung hat man auch bitter nötig, denn das Add-on wirft einem auch einige neue Monstertypen entgegen, wie die Blattcrawler oder die Steinwächter. Um diese Kreaturen geschmeidig zerlegen zu können, wurden auch neue Zauber integriert. Ist Raven besiegt, kann man als Kämpferklasse dessen Schwert erlangen, welches keinen Stärkewert voraussetzt, Blitzschläge niederprasseln lässt und an Beliar-Schreinen sogar aufgelevelt werden darf (dort muss man das Mörderteil auch erst mal „aktivieren“)!

Auch die Oberweltkarte „Khorinis“ profitiert vom Add-on. Diese wurde nämlich um neue Quests, Charaktere und einen zusätzlichen kleinen Ruinenabschnitt erweitert. Hierdurch fühlt sich „Khorinis“ nun wesentlich vollständiger an, als in der nackten Version von Gothic II. Leider hat man sich diesen Aufwand für die Karten „Minental“ und „Irdorath“ gespart. Zwar lassen sich im Minental einige wenige neue Steintafeln finden und der finale Bossgegner in Irdorath kommentiert unseren Sieg über Raven, aber das war es dann auch schon – schade.

Und wo sie jetzt schon erwähnt wurden: Ein weiteres großes Gimmick im Add-on sind die Steintafeln. Diese gibt es in verschiedenen Ausführungen. Reguläre „Alte Steintafeln“ kann man etwa bei Vatras gegen tolle Belohnungen eintauschen. Je mehr von den Dingern man auf einmal abgibt, desto besser die Belohnung. Ab einer bestimmten Menge, wandelt er die Anzahl der abgedrückten Tafeln sogar in zusätzliche Manapunkte um. Wer einen Magier spielt, bekommt hiermit also eine tolle Gelegenheit für zusätzliche Manapunkte.

Andere Steintafeln gewähren sogar sofortige Punkte-Boosts für die altbekannten Kategorien Stärke, Geschick, Lebenspunkte, Manapunkte oder Umgang mit Einhandwaffen, Zweihandwaffen, Bogen oder Armbrust. Allerdings darf man diese Tafeln erst lesen (und somit verbrauchen), sobald man von einem der Wassermagier erlernt „Die Sprache der Erbauer“ zu entziffern, was wertvolle Lernpunkte kostet (insgesamt 30, wenn man alle drei Sprachen lernen will). Dank dieser Tafeln kann man ne Menge für sich herumreißen, aber diese Extrahilfe ist auch bitter nötig, denn der Schwierigkeitsgrad wurde ja angehoben und das neue Balancing zu den Ungunsten des Spielers zurechtgebogen.

Erhöhter Schwierigkeitsgrad

Laut Handbuch wurden die Gegner stärker gemacht, auch wenn mir dies im Add-on nicht so sehr aufgefallen ist. Aber es liegt auch schon einige Jahre zurück, seitdem ich die „nackte“ Version von Gothic II gespielt habe, und ich kann daher keine direkten Vergleiche ziehen. Was jedoch definitiv auffällt, ist, dass die Anforderungen zum Ausrüsten starker Waffen nun erheblich angehoben wurden. Wer also die fette Axt anlegen möchte, die 200 Schaden verursacht, wird wohl oder übel auch einen Stärkewert von 170 mitbringen müssen. Das eigentliche Problem hierbei ist jedoch, dass es nun sauschwer ist, einen Statuswert in diese Höhe zu drücken. Das Balancing der zu investierenden Lernpunkte lautet in diesem Add-on nämlich wie folgt:

  • Von 10-30: 1 LP (Lernpunkte)
  • Von 31-60: 2 LP (Lernpunkte)
  • Von 61-90: 3 LP (Lernpunkte)
  • Von 91-120: 4 LP (Lernpunkte)
  • Über 120: 5 LP (Lernpunkte)

Besonders die Kosten für Stärke und Geschick werden mit der Zeit also verdammt teuer und zwingen den Spieler dazu sich einen strengen Charakterausbauplan zu überlegen, den man dann auch diszipliniert einhalten sollte. Freilich helfen die oben genannten Steintafeln und auch die Status-verbessernden Tränke und Pflanzen dabei die Dinge herumzureißen. Jedoch ist es cleverer diese Konsumgüter erst dann zu verwenden, wenn man den primären Wert bereits bei 120 oder zumindest 90 liegen hat, damit man hier das Meiste herausziehen kann.

Aufgrund der ansteigenden Lernpunkt-Kosten resultiert jedenfalls eine extrem hohen Gefahr der Verskillung. Daher ist die Überlegung, ob man Gothic II zunächst einmal in seiner „nackten“ aber dafür auch zugänglicheren Version spielen sollte definitiv angebracht. Nach diesem ersten Spieldurchlauf in der Grundversion, sollte man Gothic II aber immer in der „Gold Edition“ (Gothic II + Add-on) zocken, da die Add-on-Inhalte das Spiel einfach sehr stark bereichern und zu einer wesentlich befriedigerenden Erfahrung machen. Und immerhin kommen einem einige Aspekte des neuen Balancings auch entgegen. So kosten z.B. Tierverwertungsfertigkeiten weniger LP und magische Schriftrollen verbrauchen grundsätzlich nur noch 5 Manapunkte und können somit wirklich von Jedermann effektiv eingesetzt werden (ich habe z.B. den letzten Endgegner mit fünf Feuerregen-Schriftrollen weggebrutzelt.:D).

Leider hat man es versäumt den Großteil der Bugs herauszufiltern. Immer noch kann man sich in „Abrutsch-Animationen“ verkeilen, immer noch findet man beim arglosen Erkunden plötzlich ne Leiche von nem NPC, der eigentlich putzmunter in ner anderen Oberweltkarte rumgurkt (dieses mal war es, glaub ich, der Wassermagier Nefarius), wieder einmal konnte ich aus den Oberweltkarten „ausbrechen“ und ins Datennirvana latschen, und das obwohl ich es gar nicht mal darauf angelegt habe, sondern einfach nur die entlegendsten Nischen nach Loot abgrasen wollte (das schließt auch die neue Oberwelt Jharkendar ein). Angesichts all dieser Treppchen, wollte ich gar nicht erst ausprobieren, ob zumindest der Bug mit dem unbesiegbaren Eisdrachen rausgefiltert wurde. Wäre schön gewesen, wenn Piranha Bytes sich bei der Behebung von Bugs und kosmetischen Ungereimtheiten ebensoviel Mühe gegeben hätten, wie bei der Überarbeitung des Balancings.

Pro & Kontra

thumbs-up-icon

Pro
  • die Vorzüge des Hauptspiels gelten freilich auch fürs Add-on
  • die Steintafeln geben einen starken Anreiz die Spielwelt noch gründlicher zu durchforsten
  • bodenständigere Story als im Hauptspiel inkl. Wiedersehen mit vielen alten Bekannten
  • liebevoll gestaltete Jharkendar-Overworld
  • man kann die neue Add-on-Kampagne bereits frühzeitig abschließen, man muss hierfür also nicht unbedingt nochmal das komplette Spiel durchspielen

thumbs-up-icon

Kontra
  • extrem hohe Gefahr der Verskillung, ist nur für Gothic II-Kenner gedacht
  • der Add-on Content greift nicht wirklich in die späteren Spielabschnitte wie das Minental ein
  • immer noch Bugs und Schlampereien

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Spiel Bewertung
Singleplayer
88
88
Gut
-
Multiplayer

FAZIT

Nachdem mich die „nackte“ Version von Gothic II im Vergleich zum ersten Teil doch etwas enttäuschte, konnte mich das Add-on wieder voll überzeugen. Die neue Oberwelt Jharkendar wurde echt liebevoll gestaltet und die Integration der drei neuen Untergilden wurde schön umgesetzt und bringt so einige spaßige Quests mit sich. Wo sonst kann man als unterleveltes Weichei einen Orkstamm mithilfe eines sechsköpfigen Piraten-Entertrupps doch noch plattmachen (freilich hält man sich hierbei gepflegt im Hintergrund und kassiert fürs Nichtstun die ganzen Erfahrungspunkte und den Loot.^^)? Das neue Lernpunkte-Balancing korrigiert den Kritikpunkt, dass man gegen Ende des Spiels so viele Skillpunkte hat, dass man gar nicht mehr weis wohin damit. Andererseits entsteht hierdurch jedoch auch eine sehr hohe Gefahr der Verskillung. Die Nacht des Raben richtet sich nämlich in erster Linie an Gothic II-Kenner, welche das Spiel in seiner Grundversion bereits durchgespielt haben und eine neue Herausforderung suchen. Glücklicherweise ist das Add-on dabei aber auch fair genug, dem cleveren Spieler neue Werkzeuge in die Hand zu geben, um die großen Hürden doch noch zu überwinden. Die Nacht des Raben hievt Gothic II endlich auf Augenhöhe mit dem ersten Teil. Nur dumm, dass unbedarfte Einsteiger mit der Gold Edition volles Pfund aufs Maul bekommen dürften.

- Von  Volker

MS Windows

Gothic II: Die Nacht des Raben Add-on REVIEW

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