Dragon View REVIEW

Was ist eigentlich das erste RPG, welches für den SNES veröffentlicht wurde? Die Antwort auf diese Frage lautet Drakkhen. Das ist ein französisches (Heim)Computer-Rollenspiel, welches ursprünglich 1989 veröffentlicht wurde und Anfang 1991 vom japanischen Entwickler und Publisher Kemco auf den Super Nintendo und Super Famicom portiert wurde. Ironischerweise wurde die SNES-Version niemals in Europa veröffentlicht.

Heutzutage gilt Drakkhen als unspielbarer Krampf, denn das Spiel ist so krude und unkomfortabel, wie man es eben von einem steinalten CRPG erwarten sollte. Vor allem dann, wenn besagtes CRPG auch noch auf eine Konsole portiert wurde. Damals war das Game jedoch erfolgreich genug, um Kemco zu einer SNES-exklusiven Fortsetzung zu motivieren. Die Rede ist vom 1994 veröffentlichten Dragon View (bzw. Super Drakkhen in Japan), eine quirlige Mischung aus RPG und Brawler, die obendrein mit einem gesunden Schuss Zelda angereichert wurde. Und ja, abgesehen vom Schauplatz und der eigenwilligen Oberwelt-Mechanik hat Dragon View nicht mehr viel mit seinem Vorgänger gemeinsam. Leider wurde auch Dragon View niemals in Europa veröffentlicht. Im Gegensatz zum seltsamen Drakkhen ist dies ein echter Verlust, denn Dragon View ist ein Qualitätsprodukt, so viel sei an dieser Stelle schon einmal verraten.

Dieser Tage kann man Dragon View glücklicherweise auch auf Steam erwerben, womit die Serie in gewisser Weise auf ihre Ursprungsplattform „Computer“ zurückgekehrt ist. Der aktuelle Publisher Piko Interactive hat den Namen des Spiels leider falsch auf Steam eingereicht. Hier gebt ihr bitte „Dragonview“ ein, wenn ich nach dem Spiel sucht. Die Steam-Version erschien am 21. Januar 2019 und kostet 3,99 €.

Wie man eine 08/15-Story gehörig aufpeppen kann

Da ich Drakkhen nie gespielt habe, kann ich nicht sagen, inwiefern die Handlung von Dragon View mit seinem Vorgänger zusammenhängt. Keine Ahnung, ob es sich um einen Vorgänger, Nachfolger oder sonst was handelt.

Aber kommen wir nun zur Story von Dragon View: Wir befinden uns auf der Insel Keire. Held der Geschichte ist der junge Schwertkämpfer Alex, dem zwei Dinge besonders am Herzen liegen. Zum einen ist da seine fesche Freundin Katarina, mit der er gerne den Sonnenuntergang beobachtet, und zum anderen sein exzessives Schwertkampftraining. Die Handlung kommt ins rollen, als Alex‘ Freundin von einem fiesen Magier namens Argos entführt wird, der unter der Führung des wesentlich mächtigeren Giza agiert. Gizas Ziel ist es das sogenannte Primeorb zu erbeutet, und dieses zu einen bestimmten Ort in der Unterwelt zu bringen. Diese Tat würde ihm extreme Macht bescheren, welche ihm nicht nur die Herrschaft über seine eigene, sondern sogar über mehrere Welten des Universums bescheren würde (eine einzige lumpige Welt zum beherrschen reicht schließlich nicht aus). Dummerweise ist das Tor zur Unterwelt versiegelt, und Katarina ist der Schlüssel, um das Tor zu öffnen. Für Alex geht es jetzt also darum seine Liebste zu retten und nebenbei auch noch mehrere Welten vor der Versklavung durch einen bösartigen Magier zu retten.

Mehr gibt es zur Handlung auch gar nicht zu sagen. Ja ich weiß, sie wirkt selbst für damalige Verhältnisse relativ dünn und simpel. Das was Dragon View in dieser Hinsicht jedoch interessant macht, ist die Art und Weise wie man mit den Charakteren umgeht. Das fängt schon beim Protagonisten Alex an. Viele Rollenspiele dieser Ära waren faul genug den Protagonisten als stumme Spielfigur darzustellen. Eine Praktik, die sich vor allem für eine actionorientierte Prügelei wie Dragon View angeboten hätte. Doch Kemco wählten den eleganteren Weg und verliehen Alex eine Stimme und Persönlichkeit. Und auch die restlichen NPCs der Spielwelt, haben ihre eigenen Charakterzüge mit auf den Weg bekommen. Während die NPCs anderer SNES-Genrevertreter nur geistigen Dünnpfiff á la Claude M. Moyse von sich geben, so bietet eigentlich jeder noch so belanglose NPC in Dragon View seine eigene kleine Persönlichkeit. Ein Feature, das noch dadurch gesteigert wird, dass die Bewohner der Spielwelt nach bestimmten Storyentwicklungen auch immer wieder was neues zu sagen haben. Hierdurch hat man das Gefühl eine lebendige Welt mit echten Menschen zu bereisen, statt sich mit den Statisten eines Videospiels abzugeben. Als Vergleich zur herangehensweise von Dragon View können Klassiker wie „Grandia“ oder „The Legend of Heroes“ genannt werden, welche ihre NPCs mit dem selben Respekt behandeln.

Weiterhin gelungen ist die Art und Weise, wie die Texte geschrieben werden. Statt einfach nur den Dialoginhalt auf den Spieler loszulassen, wie es eigentlich in fast allen Spielen gehandhabt wird, verwendet Dragon View eine Satzstruktur, wie man sie in einem Roman vorfindet. Ein netter kleiner Kniff, um die Storypräsentation aus der Masse der Rollenspiele hervorzuheben. Auf jeden Fall wird die Qualität der eigentlich unspektakulären Handlung durch derlei Dinge gehörig aufgewertet.

Rollenspiel und Beat‘ em Up bilden eine Einheit

Die grundlegene Spielstruktur entspricht dem eines klassischen Rollenspiels. Man erkundet die Spielwelt in Stadt, Land und Dungeon-Manier, quatscht mit NPCs um die Handlung voranzutreiben, verdrischt Monster um Erfahrungspunkte für Level-Ups und Geldeinheiten (in diesem Spiel sind es Jade-Edelsteine) für Ausrüstungsstücke zu verdienen und öffnet fleißig Schatztruhen, um Schätze zu sammeln. Diese Grundstruktur täuscht aber nicht darüber hinweg, dass Dragon View ansonsten sein eigenes Ding durchzieht. Das fängt schon bei der Perspektive an, denn das Spiel wird entweder in 2D-Perspektive dargestellt (in Städten und Dungeons) oder aus der Egoperspektive (auf der Weltkarte). Die altbekannte Vogelperspektive sucht man hier hingegen vergebens.

Der 2D-Perspektive liegt in erster Linie das Kampfsystem zu Grunde, denn wie bereits gesagt, spielt sich Dragon View wie ein Brawler, also so ein Spiel wie Legend oder Turtles in Time. Man verdrischt die Gegner also in Form eines actionreichen Beat‘ em Ups. Hierfür stehen Alex in erster Linie zwei Waffen zur Verfügung. Das klassische Schwert für den Nahkampf und das „Hauza,“ eine Art Bumerang-Waffe für den Fernkampf. Im späteren Spielverlauf erbeutet man auch noch Pfeil und Bogen (aufgrund des Hauza absolut witzlos), sowie drei magische Ringe, mit denen man Zauber der Elemente Feuer, Eis und Blitz lostreten kann. Die primären Kampfvarianten bleiben jedoch das Schwert und das Hauza. Die Levelstrukturen der Dungeons sind übrigens komplexer, als man annehmen mag, denn die linearen Gänge zweigen gerne in Wege nach oben, unten, links und rechts ab. Es gibt sogar verschiedene Ebenen innerhalb vieler Dungeons, die durch Treppen oder Löcher im Boden erreicht werden können. Wer die Dungeons unterschätzt, kann sich leicht verlaufen. Manchmal lohnt es sich sogar seine eigene Karte zu zeichnen.

Auch der Hirnschmalz wird manchmal gefordert. Neben Klassikern wie Schlüsseln für verschlossene Türen, oder Felsbrocken, die man mit Bomben wegsprengen muss, erwarten euch auch interessantere Problemstellungen, wie z.B. Wasserflächen, die man mit dem Eiszauber vereisen muss, da Alex nicht schwimmen kann. Oder wie wärs mit Fallenmechanismen, die nur mit Hilfe eines Schlüsselgegenstandes überwunden werden können? Der Dialog mit NPCs ist oftmals unumgänglich, um die Lösung für einige Problemstellungen zu entdecken oder zumindest zu erfahren, wie es wo mit der Reise weitergeht. Die NPCs dienen hier also nicht nur als Statisten, sondern vor allem auch als nützliche Infoquellen, die manchmal auch einen Kartenausschnitt für die weitläufige Weltkarte springen lassen.

Die Weltkarte ist nämlich auch so ein Fall für sich. Diese ist in 3D-Grafik gehalten und wird, wie oben genannt, aus der Egoperspektive erkundet. Dies macht die Übersicht alles andere als einfach, weswegen die gefundenen Kartenausschnitte auch sehr wichtig sind, um sich auf der Insel orientieren zu können. Leider zeigen die Karten meistens nur die wichtigsten Ortschaften an. Optionale Gebiete am Wegesrand, oder nützliche Teleporter muss man hingegen oftmals selber entdecken. Fleißige Entdecker werden dafür aber auch mit nützlichen Power-Ups belohnt, welche entweder die Lebens- und Manapunkte steigern, oder auch die Ausrüstung in Form von Waffen, magischen Ringen oder der Rüstung verbessern. Das Spiel weckt diesbezüglich starke Erinnerungen an den Megaklassiker Zelda.
Im übrigen erkundet ihr hier eine Art Open World-Gebiet. Hat man das Startareal abgeschlossen, öffnet sich die Spielwelt signifikant und erlaubt die relativ freie Erkundung der Keire Insel. Das bedeutet allerdings auch, das man sich immer wieder in Gebieten wiederfindet, in denen man eigentlich noch nichts zu suchen hat, und deren Monster noch viel zu stark sind.

Tatsächlich wird der Schwierigkeitsgrad sehr stark von der Levelstufe des Spielers bestimmt. Level-Ups verbessern zwar lediglich die Angriffs- und Verteidigungswerte von Alex, aber die alleine haben schon einen sehr hohen Effekt. Um zu veranschaulichen was ich meine, schildere ich mal mein prägnantestes Erlebnis: Als ich dem finalen Bossgegner das erste mal gegenüber stand, war ich auf Level 38, und wurde vom Endboss ziemlich fertig gemacht. Da man eine lästige Jump-Passage bewältigen muss, um zum Endboss vorzudringen (ja, es gibt ein paar nervige Jump-Passagen, und speichern darf man nur bei Heilern), entschloss ich mich eine Weile zu grinden, damit ich beim zweiten Versuch auf der sicheren Seite bin und nicht auch noch einen dritten Versuch starten muss. Also levelte ich auf Stufe 41 hoch und versuchte es nochmal. Dieses mal hatte sich die Situation um 180 Grad gewendet. Ich erledigte den Endgegner ohne Probleme – und zwar ohne irgendwelche Anstrengungen. Das ist der Einfluss, den ein paar Level-Ups haben können. Der Unterschied von unschaffbar schwer bis zum völligen Spaziergang, lag gerade mal in drei lumpigen Level-Ups! Ob dieser heftige Einfluss der RPG-Statistiken auf den Schwierigkeitsgrad nun gut oder schlecht ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Unterm Strich ist Dragon View dann eben doch mehr ein Rollenspiel, als ein Action-Game.

Grafik und Sound

Schon vom Start weg protzt Dragon View mit einem tollen Introvideo, dass uns zunächst Alex und Katarina beim Sonnenuntergangs-Date beiwohnen lässt, bevor es in finstere Gewitterwolken mit Blitzgewitter übergeht. Danach erwartet uns der ebenso schicke Titlescreen, der ein tolles Artwork von einem Schwert-schwingenden Alex und einem finster dreinblickenden Drachen entblößt. Die eigentliche Ingame-Grafik kann da leider nicht ganz mithalten. Zunächst fällt auf, dass die eigentliche Spielfläche nur ca. 60 Prozent des Bildschirms umfasst, die übrigen 40 Prozent gehen für das HUD drauf. Immerhin war man jedoch auch so geistesgegenwärtig die Textboxen in diesem HUD-Bereich abzubilden.

Die eigentliche Spielgrafik muss man in zwei Bereiche untergliedern. Zum einen sind da die 2D-Ortschaften, welche sowohl Siedlungen, als auch Dungeons und vereinzelte Höhlen umfassen, und zum anderen die Oberweltkarte, die in 3D-Grafik gehalten ist und sehr stark an den FX-Chip erinnert. Eben diese 3D-Grafik war damals auch das Gimmick in Drakkhen, und genau wie Drakkhen schafft es auch Dragon View eine derartige 3D-Grafik ohne die Hilfe des FX-Chips zu erzeugen. Aus rein technischer Sicht ist dies sicherlich eine sehr respektable Leistung, ändert aber auch nichts daran, dass eine derart primitive 3D-Grafik heutzutage nur noch potthässlich aussieht. Damals war man diesbezüglich jedoch positiver eingestellt und immerhin erzeugt die Oberweltkarte ja auch das Gefühl eine weitläufige Welt zu erkunden.

Die 2D-Grafik ist im Vergleich deutlich ansehnlicher gelungen und bietet einen angemessenen Detailreichtum und schöne Animationen für die Charaktermodelle. Das Problem ist jedoch, dass die 2D-Grafik nicht mit einem reinen Brawler wie Legend oder Turtles in Time mithalten kann. Dafür wirkt sie einfach zu grobpixelig. Ein Problem, dass natürlich auch auf die oben erläuterte 60 %-Geschichte zurückzuführen ist. Und auch die generischen Locations helfen da nicht weiter. Es werden lediglich Klischee-Kulissen wie Höhlen, Wiesen, Wüsten, Schneelandschaften, Sumpf etc. geboten. Übermäßige Kreativität sollte man da nicht erwarten. Dragon View gibt sich hier eher bodenständig. Dasselbe gilt auch fürs Gegnerdesign. Abgesehen von einigen coolen Bossgegner-Modellen, bleibt einem hier nichts im Gedächtnis hängen. Außerdem wird zu viel mit Palette-Swaps gearbeitet. Sogar die ersten beiden Bossgegner-Sprites werden regelmäßig im Spiel recycelt. Letzteres hätte nun echt nicht sein müssen. Das i-Tüpfelchen sind dann noch die Ladezeiten, die beim Verlassen eines Levelabschnitts anfallen. Diese beanspruchen gut 3 Sekunden, was jetzt zwar nach wenig klingt, aber bei einem action-orientierten Titel durchaus auf die Nerven gehen kann. Aber ich will Grafik und Technik auch nicht schlechter reden als sie sind. Dragon View ist unterm Strich nämlich doch ein sehr ansehnliches Spiel.

Der Soundtrack ist charmant, schwungvoll und unterstützt das Spielgeschehen. Es macht Spaß den OST innerhalb des Spiels zu hören, es ist jedoch kein Soundtrack, der über nennenswerten Ohrwurmcharakter verfügt, oder den man sich außerhalb des Spiels anhören müsse. Diese Aspekte sind jetzt aber gar nicht mal negativ gemeint, denn wie gesagt: Innerhalb des Spiels funktioniert er hervorragend. Obendrein klingen die Soundeffekte angenehm kraftvoll und launig.

 

Pro & Kontra

thumbs-up-icon

Pro
  • cleverer und sehr spaßiger Mix aus Brawler und RPG
  • NPCs mit Relevanz und Persönlichkeit
  • lädt zum Erkunden ein
  • ansprechende audiovisuelle Präsentation (auch wenn die Oberklasse in dieser Hinsicht nicht erreicht wird)

thumbs-up-icon

Kontra
  • ca. 40 Prozent des Bildschirms werden vom HUD beansprucht
  • technisch beeindruckende aber optisch hässliche und sperrig zu navigierende 3D-Weltkarte
  • die RPG-Statistiken haben einen zu hohen Einfluss auf den Schwierigkeitsgrad
  • die Ladezeiten bei Übergängen in neue Levelabschnitte sind auf Dauer nervig und machen das Spiel dezent träge

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Spiel Bewertung
Singleplayer
83
83
Gut
-
Multiplayer

FAZIT

Dragon View ist eine echt clevere Mischung aus Rollenspiel und Beat' em Up-Brawler. Ihr mögt die Strukturen klassischer Rollenspiele, habt aber keinen Bock auf Rundenkämpfe? Dann schaut euch dieses Spiel an! Die Fights sind leicht zu steuern, actionreich und hängen letztendlich doch von den Statistikwerten des Helden ab. Soll heißen, dass der Spieler den Schwierigkeitsgrad durch das Allheilmittel „Grinding“ selbst bestimmen kann. Ist der aktuelle Bossgegner zu hart, können ein paar Level-Ups wahre Wunder wirken. Negativ betrachtet ist der Einfluss der Statistika vielleicht sogar zu eingreifend, aber wie auch immer. Die andere große Besonderheit im Spiel ist natürlich die 3D-Karte, welche eine Semi-Open-World offenbart, die so einige Power-Ups und Schätze versteckt hält. Hierdurch lädt das Spiel sowohl zum Erkunden, als auch zum Verirren ein, denn Karten für die Oberwelt bekommt man erst nach und nach zur Verfügung gestellt. Schade, dass sich die Oberweltkarte etwas sperrig anfühlt. Auch die Ladezeiten beim Übergang in neue Levelabschnitte zerren auf Dauer an den Nerven. Diese gewöhnungsbedürftige Zähigkeit ist dann auch der große Knackpunkt an Dragon View. Dennoch ist das Spiel ein waschechter Geheimtipp, den ich jedem Interessierten wärmstens empfehlen kann.

- Von  Volker

Playstation 4

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