2064: Read Only Memories REVIEW
Das Cyberpunk-Genre ist häufig der Aufhänger für Geschichten, in denen sehr aktuelle Problematiken vor dem Hintergrund einer düsteren Zukunftsutopie erörtert werden. Häufig ist es vor allem der kritische Blick auf den Umgang mit Technologie, den Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen, aber auch mit gesellschaftlichen Themen. 2064: Read Only Memories von MidBoss nimmt sich da nicht aus, erweist sich aber als eine Vision, in der gleichzeitig viel Platz für Humor und eine positive Botschaft vorhanden ist.
Diversität wird groß geschrieben
Ursprünglich wurde das Spiel 2015 für den PC veröffentlicht, wobei die Realisierung des Projekts zuvor durch eine Kickstarter-Kampagne begünstigt wurde. Das Team von MidBoss, die sich zuvor bereits einen Namen als Initiatoren der GaymerX Convention gemacht haben, wollte nicht nur ein an Klassiker wie Hideo Kojima´s Snatcher und den LucasArts Adventures von Ron Gilbert, Tim Schafer und Co. angelehntes, sondern vor allem ein für sich stehendes und sich stark mit queeren Themen auseinandersetzendes Spiel schaffen.
Der Umgang mit Homosexualität und anderen sexuellen Zuneigungen steht dabei nie direkt im Fokus der Narration, sondern wird als normal akzeptiert. In der Bar Stardust etwa, steht vollkommen selbstverständlich ein schwules Pärchen hinter dem Tresen und verdeutlicht seine Zuneigung lediglich mit dem Nennen der gegenseitigen Kosenamen. Ganz getreu dem Mantra „show, don´t tell“ geht 2064: Read Only Memories mit seinen Themen offen um, ohne sie dem Spieler plakativ unter die Nase zu reiben. Dieses Selbstverständnis wirkt erfrischend und ist Videospielkontext fast schon einmalig. Denn während Filme, Serien und Bücher unlängst schwule, lesbische und transsexuelle Figuren besitzen, tun sich Videospiele noch immer schwer die gesellschaftliche Realität in dieser Art und Weise abzubilden.
Klassischer Cyberpunk-Thriller?
Im Zentrum der Handlung steht dennoch eine Geschichte, die sich stark den Konventionen des Cyberpunk-Genres unterordnet und mit bekannten Themen wie Transhumanismus, Augmentierungen und überhaupt der Bedeutung der fortschreitenden Technik für den Menschen aufbereitet ist. Wir schlüpfen in die Rolle eines zunächst namenlosen Autoren, der sich sein täglich Brot als Freelancer verdient. Einige Minuten nach Spielstart können wir schließlich auch unseren Namen, unser Geschlecht und unsere bevorzugte Ernährungsgewohnheiten festlegen. Auch bei der Wahl des Geschlechts und der Ernährungsgewohnheiten zeigt sich übrigens der inklusive Gedanke. So kann man sich nicht nur als he/she sondern unter anderem auch als they ansprechen lassen (ja, 2064: Read Only Memories besitzt lediglich englische Texte und eine ebensolche Sprachausgabe). Bei der gewünschten Diät kann man hingegen zwischen vegetarischer, koscherer oder auch Halal-Kost wählen. Witziges Detail: hat man zuvor etwa Halal als präferierte Diät gewählt, wird beim Ausschank von alkoholischen Getränken darauf hingewiesen, das diese nicht mit der zuvor gewünschten Ernährungsform zusammenpasst.
Die eigentliche Geschichte nimmt ihren Anfang, nachdem eines Abends ein Roboter namens Turing in der Wohnung des Protagonisten auftaucht. Dieser berichtet von der Entführung von Hayden, einem alten Freund der Hauptfigur. Warum Hayden gewaltsam aus seiner Wohnung gekidnappt wurde, ist zunächst nicht klar, offenbar scheint die Tat aber mit seiner Tätigkeit bei einem der führenden Tech-Unternehmen des Landes in Verbindung zu stehen. Turing, der wohl erste Roboter, der menschliche Gefühle verstehen und selbst empfinden kann, bittet uns also bei der Suche nach Hayden zu helfen. Gesagt, getan.
Bewährte Elemente
2064: Read Only Memories steht in erster Linie in der Tradition von Visual Novels. Der überwiegende Ablauf besteht daher aus dem Lesen von Texten und der Auswahl verschiedener Antwortmöglichkeiten während Dialogen. Immer wieder gibt es aber auch konventionelle Gameplay-Abschnitte, die in der Regel an das Lösen von Rätseln geknüpft sind. So muss man an einer Stelle des Spiels etwa Straßensperren aktivieren, damit ein verdächtiges Duo nicht fliehen kann. Auch das Verwenden des richtigen Items an der richtigen Stelle ist hin und wieder notwendig. Sonderlich fordernd sind diese Abschnitte in der Regel nicht, erst gegen Ende wird der Schwierigkeitsgrad etwas angehoben und die Aufgaben – leider – auch recht nervtötend. Übrigens haben die verschiedenen Dialogoptionen immer wieder Einfluss auf den Verlauf der Handlung und auch kann man in manchen Situationen, wie der oben beschriebenen Straßensperren-Aufgabe, scheitern. Dazu passt, das es verschiedene Enden gibt.
Ich hatte jedoch nicht die Muße, mir alle verfügbaren Enden zu erspielen. Dafür hängt mir die Rahmenhandlung schlicht und ergreifend zu sehr an den hinlänglich bekannten Tropen des Genres, ohne diesen einen wirklich neuen Schwung zu verpassen. 2064: Read Only Memories macht nichts bedeutend anders, als andere Cyberpunk-Werke. Intelligente Roboter, böse Tech-Firmen, wirtschaftliche Komplotte und eine sich heraus kristallisierende Zweiklassengesellschaft gibt es in nahezu jedem Spiel, Film und Buch, welches sich Cyberpunk schimpft. Hinzu kommt das langsame Pacing der Geschichte. Die ersten zwei Stunden bestehen beinahe komplett aus Exposition und dem Einführen von Figuren. Erst im letzten Drittel nimmt die Handlung Fahrt auf und wird tatsächlich interessant.
Wären die Figuren nicht einigermaßen interessant und der Synthie geschwängerte Soundtrack nicht gewesen, hätte ich wohl bis dahin erst gar nicht durchgehalten. Überhaupt liegen die Stärken vor allem im audiovisuellen Bereich. Die Sprachausgabe ist ziemlich fantastisch und auch der reduzierte Grafikstil hat mich sofort angesprochen. In der Darstellung von Neo San Francisco setzen die Entwickler zwar erneut auf bekannte Cyberpunk-Motive, gleichzeitig wirkt die Welt aber nicht so düster und dreckig, wie etwa in Blade Runner.