Virginia REVIEW

Das Genre der Walking Simulators bzw. Exploration Games ist ja an und für sich bereits recht experimentell und eine große Abweichung von der Norm der Video- und Computerspiele. Schließlich tut man dort nicht viel mehr, als eine Umgebung zu erforschen und zu durchwandern, sowie ab und zu mal Textdokumente zu lesen oder einem Erzähler zu lauschen, um die Handlung mitzuverfolgen. Und nun kommt der Indie-Entwickler Variable State daher und möchte dieses Konzept nochmals zwei, drei Ecken exzentrischer gestalten. Mit ihrem am 22.09.2016 veröffentlichten Erstlingswerk „Virginia“ legen uns die Briten einen spielbaren Stummfilm vor, der nicht nur auf das gesprochene Wort verzichtet, sondern auch Textboxen vermissen lässt. Lediglich einzelne Dokumente geben hier und da einen näheren Einblick in die Geschehnisse, aber abgesehen davon muss man die Story aus den bloßen Geschehnissen, sowie der Mimik der Hauptakteure herauslesen.

Ironischerweise entstand diese Grundidee zunächst aus einer Not heraus. Im Verlauf des Entwicklungsprozesses hievte man die Abstinenz einer Sprachausgabe jedoch in den Mittelpunkt des Spiels. Ob dieses ungewöhnliche Konzept aber wirklich aufgeht oder nicht, möchte ich euch im folgenden Review darlegen.

 

Das hässliche Gesicht des FBI

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Wie der Spieltitel bereits verständlich macht, verschlägt uns die Handlung in den US-Bundesstaat Virginia, oder besser gesagt ins dort ansässige Kaff Kingdom im Sommer des Jahres 1992. Der kleine Lucas Fairfax wird von seinen Eltern als vermisst gemeldet, was letztendlich das FBI auf den Plan ruft. Die frisch gebackene FBI-Agentin Anne Tarver wird damit beauftragt den Fall mit ihrer erfahrenen, aber auch recht abweisenden Partnerin Maria Halperin in Angriff zu nehmen. Tatsächlich ist die Suche nach Lucas aber nur ein Deckmantel für Annes eigentlichen Auftrag. Viel eher geht es Annes Vorgesetzten darum Maria Halperin beschatten zu lassen, damit Beweismaterial zu Tage gefördert werden kann, um Halperin aus dem FBI zu entfernen. Während der Zusammenarbeit schließen die beiden Frauen jedoch Freundschaft, was Anne logischerweise in eine sehr unangenehme Situation bringt. Als die beiden Agentinnen dann auch noch dunklen Geheimnissen in Kingdom auf die Spur kommen und sich das FBI als korrupte Organisation entpuppt, steht Anne unverhofft auf dem Scheideweg ihres Lebens. Und die bizarren Träume und Visionen unter denen Anne leidet, machen die Sache auch nicht gerade einfacher.

Soweit ist Virginia ein spannender und überraschend verständlicher Mystery-Krimi mit einem guten Schuss Symbolik. Trotz des Verzichts auf Sprachausgabe und Bildschirmtexte kann man gut nachvollziehen worum es geht und sich in die Charaktere hineinversetzen. Dummerweise war den Entwicklern dies allein aber nicht gut genug. Im letzten Spielabschnitt folgt eine extreme Kehrtwende und der Spieler wird auf einmal mit absurden Dingen wie UFOs oder einer merkwürdigen Sekte samt Opferritual konfrontiert. Auch Annes labiler Bezug zu Traum und Realität macht die Sache nicht verständlicher. Nachdem ich nach dem Abspann aber etwas Recherche betrieben hatte, war das Ganze dann doch etwas verständlicher für mich. Die Tatsache, dass ich mir die Handlung aus anderen Quellen erklären lassen musste, liegt aber freilich auch in der Stummfilm-Struktur ohne Textboxen begründet. Das ist jedoch sehr schade, denn bis zu oben genannten Punkt hat dieses Konzept ja überraschend gut funktioniert. Leider hat man für das große Finale aber noch jede Menge Stuss nachgeschoben, um David Lynch, Twin Peaks und Akte X nachzueifern. Nötig gehabt hätte Virginia dies jedoch nicht, im Gegenteil: Letztendlich wird damit dem kreativen Stummfilm-Konzept, sowie der ungewöhnlichen Handlung, welche sich um den Zusammenprall zwischen der korrupten FBI-Behörde und des leicht instabilen Gemütszustands der Protagonistin dreht, nur unnötigen Schaden zugefügt. Ein spannendes und eindringliches Erlebnis war Virginia trotzdem.

 

Immer brav von A nach B

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Spielerisch entpuppt sich Virginia leider als reinrassiger Walking Simulator. Es geht eigentlich immer nur darum von A nach B zu laufen und Hotspots anzuklicken oder sonst was zu triggern, um das Geschehen voranzutreiben. Zwischen den Trigger-Punkten, welche die nächste Ingame-Sequenz aktivieren, bekommt man aber immerhin etwas Gelegenheit die übersichtlichen Umgebungen zu erkunden und ein paar Gegenstände (Blumen, Federn, Dokumente, Broschen etc.) einzusammeln. Diese sammelt Anne dann entweder in ihrer Wohnung oder übergibt sie an Maria, damit diese in der nächsten Sequenz eben mit einer neuen Brosche geschmückt ist usw. Unterm Strich also nur ein kleines Gimmick, welches freilich auch an ein paar Achievements gekoppelt ist. Handfeste Rätsel sucht man jedoch vergeblich und Einfluss auf die Handlung hat man auch keinen.

Etwas merkwürdig ist jedoch die ungewöhnlich schwerfällig wirkende Fortbewegungs-Steuerung. Dies ist vermutlich so beabsichtigt, damit man sich bewusst wird, dass man hier eine Person und keine schwebende Kamera steuert. Netterweise wird dieser Punkt auch dadurch hervorgehoben, dass man Anne in Spiegeln sehen kann. Allerdings hat man es etwas übertrieben, denn Anne fühlt sich eher wie ein ungelenkiger Roboter an, als eine agile FBI-Agentin. Rennen kann Anne übrigens auch nicht. Die Grundstruktur der Steuerung gleicht jedoch allen anderen Genrevertretern, verwechselt eben genannten Kritikpunkt also bitte nicht mit einer komplizierten Steuerung oder so ähnlich.
Ein weiterer Knackpunkt in Virginia ist die sehr kurze Spieldauer von gerade mal 2-3 Stunden. Das ist selbst für einen Walking Simulator verdammt kurz! Und selbst diese Zeitspanne bekommt man nur zusammen, wenn man sich Zeit für die Erkundung der kleinen Areale nimmt. Aber immerhin kostet das Spiel auch nur 9,99 Euro, womit es für einen harten Genre-Fan eventuell noch vertretbar ist.

 

Grafik und Sound

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Bei Virginia handelt es sich um ein weiteres Spiel auf Basis der Unitiy-Engine. Dies bedeutet freilich, dass man kein grafisches Glanzlicht erwarten sollte. Titel die diese Engine nutzen wirken i.d.R. wie hochauflösende PS2-Games. Virginia geht da aber bewusst nochmal einen Schritt zurück, denn der Grafikstil setzt stark auf matt kolorierte Polygone. Darüber hinaus sehen die Charaktermodelle recht puppenhaft aus. Das mag wohl viele abschrecken, doch entfaltet dieser spartanische Grafikstil durchaus seinen eigenen künstlerisch wertvollen Charme – sofern man gewillt ist sich darauf einzulassen.

Wirklich Eindrucksvoll ist dafür der wundervolle und filmreife Soundtrack von Lyndon Holland! Der britische Komponist hat jedenfalls locker das Zeug dazu zu den Großen seines Faches aufzusteigen. Seine emotionalen Melodien sind definitiv das Beste, was dieses Spiel zu bieten hat! Ehrensache, dass dieser für 2,99 Euro als DLC erworben werden kann. Alternativ kann man freilich auch mal auf Youtube probe hören, es lohnt sich!

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Spiel Bewertung
Singleplayer
75
75
Okay
-
Multiplayer

FAZIT

Virginia ist ein Nischentitel innerhalb eines Nischengenres und wird dementsprechend nur wenige Leute ansprechen. Aber selbst Fans von exotischen Kunstspielen werden sich mit einigen nervigen Schwachpunkten abfinden müssen. Ich wage jedenfalls schwer zu bezweifeln, dass irgendjemand Spaß an Annes roboterhafter Bewegungs-Steuerung haben wird. Die restlichen Kritikpunkte schwimmen freilich eher im Fahrwasser individueller Vorlieben. Ich persönlich finde es halt sehr schade, dass man die spannende Handlung in Kombination mit dem originellen Stummfilm-Konzept mit dem stussigen Finale an die Wand gefahren hat. Aber gut, dafür entschädigt ja wiederum der wundervolle Soundtrack. Auf jeden Fall war Virginia ein einmaliges Erlebnis, welches ich trotz aller Kritik nicht missen möchte. Und das kann bei weitem nicht jedes Spiel von sich behaupten.

- Von  Volker

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USK 0 PEGI 3

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