Sunrise – The Game REVIEW

„Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.“ So lautet ein weiser Spruch der wunderbar auf den standardgemäßen Output von Entwickler TML Studios und Publisher aerosoft anspielt. Schließlich spezialisieren sich diese beiden Unternehmen quasi ausschließlich auf – inzwischen berühmt-berüchtigte – Simulations-Software (ich vermeide an dieser Stelle absichtlich den Begriff „Spiele“). So geht unter anderem der „Kehrmaschinen Simulator“ auf das Konto von TML. Da ist es doch erfrischend zu sehen, dass man sich mit dem Adventure Sunrise – The Game auch mal an ein richtiges Spiel mit Hand und Fuß heranwagte. Dann wollen wir uns mal anschauen, ob die verantwortlichen Programmierer mehr hinbekommen als die Hämorriden der Spieler mit virtuellen Kehrmaschinen, Straßenbahnen und dergleichen durchzuschaukeln.

Wenn drei Chaoten eine Teleportationsmaschine zusammenbasteln

Das ging mächtig in die Hose! Da sind sich Ray Decker genannt Rydec, Maxwell „Max“ Spencer und Brian Harper mal ausnahmsweise einig. Dabei wollte unser Trio Infernale nur den Nobelpreis und einen dicken Batzen Kohle abgreifen. Brian ist nämlich ein wahres Technikgenie, der mithilfe seiner beiden Sandkastenfreunde Rydec und Max eine Teleportationsmaschine zusammengebastelt hat, die sie in der Werkstadt ihres heruntergekommenen New Yorker-Lofts testeten. Der gründlich vorbereitete Testlauf erzeugte allerdings keine Transportation der hierfür bereitgestellten Topfpflanze, sondern eine heftige Energieentladung, welche die drei Freunde kreuz und quer durch den Raum schleuderte und somit die längst überfällige Gute Nacht-Ruhe bescherte.

Als sie sich endlich von diesem Schlag erholen, stellen unsere Chaoten recht schnell fest, dass das gescheiterte Experiment weitaus größere Schäden anrichtete als Blaue Flecken und Kopfschmerzen: Die übrige Bevölkerung New Yorks löste sich scheinbar in nichts auf – Tiere eingeschlossen. Ferner herrscht ein konstantes Schmuddelwetter mit Regenschauer und nebligen Himmel; von der Sonne ist auch keine Spur zu sehen (daher die Ableitung zum Spieltitel). Und zu guter Letzt ist da noch die bewusstlose Blondine die vor ihrer Haustür liegt … Rydec, Max und Brian haben alle Hände voll zu tun, um das von Ihnen verursachte Chaos wieder in den Griff zu bekommen, doch werden sie dazu wirklich in der Lage sein?

Was sich jetzt liest wie die Einleitung zu einem spannenden Thrillerdrama mit Sci-fi-Elementen, entpuppt sich recht bald als eine Art US-Sitcom mit originellem Hintergrundrahmen. Statt in einer WG, einem Krankenhaus oder sonst wo, erleben die drei Protagonisten ihre Situations-komischen Abenteuer eben im leergefegten New York und hauen sich dabei natürlich jede Menge dumme Sprüche um die Ohren. Die drei Freunde unterscheiden sich hierbei sehr stark vom Charakter. Max ist das offensive Großmaul, Brian der verschrobene Eigenbrötler und Rydec ist irgendwie der Typ der zwischen den Stühlen sitzt und die größte soziale Kompetenz unter den Dreien aufzuweisen scheint. Er ist auch derjenige der die meiste Drecksarbeit zu erledigen hat, da Brian die geistige Arbeit im Team übernimmt, während sich Max generell gerne „zurückhält.“ Folglich übernimmt der Spieler die Kontrolle über Rydec. Selbstverständlich teilt unser unfreiwilliger Held seine Gedanken mit dem Spieler – er sagt was er denkt, damit jeder hört was er weiß: Kein Hotspot ist vor den Kommentaren unseres Protagonisten sicher – ob diese nun dumm oder lustig sind hängt dabei natürlich vom persönlichen Geschmack ab. Dann ist da noch die oben erwähnte Blondine die zusammen mit Rydec das Coverbild der Spielverpackung ziert … Und das sagt eigentlich auch schon alles über sie aus. Sie dient lediglich als „Love interest“ für unsere Spielfigur, hat jedoch abseits eines eventuellen Techtelmechtels unter der Dusche keinerlei Existenzberechtigung innerhalb der Story. Zur Komik trägt sie übrigens auch nichts bei.

Nun stellt sich natürlich die große Frage, ob der Humor in Sunrise geglückt ist oder nicht? Wie bereits gesagt, muss sich diese Frage jeder selbst beantworten, aber hier noch mal als kleiner Überblick: Im Grunde geht’s nur um drei Buddies die in eine ungewöhnliche Situation geraten und sich jede Menge Schrott an die Backen labern, während sie versuchen aus dieser misslichen Lage zu entfliehen. Ich persönlich fand das Schrottgelabere der drei recht unterhaltsam und zwei, drei Situationen haben mir sogar echte Lachkrämpfe beschert! Auf der Kontraseite empfand ich Rydec’s Sprüche während seiner Soloausflüge hin und wieder als mühselig. Kalauer die auf die zahlreichen Marotten des weiblichen Geschlechts abzielen sind nicht immer erheiternd. Und auch der etwas aufgesetzt wirkende Dauerjargon kann einem manchmal auf den Nerv gehen, wenn man erst mal ein paar Sekunden nachdenken muss, was sich hinter Begriffen wie „Glotzkorken“, „Stromkuh“, „Tretminen“ oder „Mafiatorte“ verbirgt – sowas kann lustig sein, muss aber nicht. Wirklich schade ist jedoch, dass die komödiastische Dynamik des Trios im letzten Spieldrittel durch Max‘ Aggro-Anfälle, die auf eine gewisse Storyentwicklung zurückzuführen sind, aus den Fugen gerät – dies hat mir gegen ende hin doch etwas den Spaß am Spiel verdorben. Als völlig überraschend empfand ich hingegen das Ending. Mit diesem Ergebnis hätte ich dann doch nicht gerechnet, vor allem da es ziemlich clever durchdacht ist, wo es doch einerseits die Geschichte abschließt aber dennoch Raum für ein Sequel lässt.

Weg mit der Inventarleiste!

Bevor man das eigentliche Spiel beginnt, sollte man sich erst einmal den Genuss des wirklich genial-witzigen Tutorial-Videos gönnen. In diesem klärt uns der Protagonist Rydec nicht nur über die Handhabung von Sunrise auf, sondern erläutert auch noch die zahlreichen Ungereimtheiten des Adventure-Genres. Sei es nun die hemmungslos diebische Natur seiner Abenteuer-Kollegen, deren übernatürlicher Tragkraft oder den schier unerschöpflichen Stauraum gestohl … äähm ich meine natürlich ausgeborgter Items. Diese ganzen Kritikpunkte zielen letztendlich auf den einen Aspekt von Sunrise ab, der dieses Spiel von seiner Konkurrenz unterscheiden soll – die berüchtigte Inventarleiste! Diese wurde in Sunrise nämlich abgeschafft!

Das bedeutet, dass sich der gemeine Adventure-Veteran von einigen seiner Spielgewohnheiten verabschieden muss, denn es lassen sich nur die Objekte aufnehmen, die für die aktuelle Aufgabe wirklich benötigt werden. Dieser Umstand gestaltet sich in der Spielpraxis jedoch als weit weniger spaßig als wohl von den Programmierern gedacht war, führt dies doch unter anderem dazu, dass Rydec regelmäßig in bereits besuchte Screens zurückkehren muss, um sich nach den erforderlichen Items umzuschauen. Bevor man sich jedoch überhaupt auf die Suche begibt, sollte man natürlich erst einmal wissen, was man eigentlich benötigt. Trotz klarer Aufgabenstellung die zusammen mit den gesammelten Items und einer abrufbaren „Schritt für Schritt-Hilfe“ (eine Art integrierte Komplettlösung) in Rydec’s PDA-Gerät eingesehen werden kann, weiß man nicht immer wie man nun eigentlich ans Ziel gelangt. An dieser Stelle lohnt es sich mit seinen beiden Mitstreitern zu kommunizieren. Max und Brian haben für uns nämlich oftmals wertvolle Tipps parat, was denn überhaupt zu tun ist, was genau benötigt wird oder wo man Objekt X eigentlich herbekommt. Folglich ist es ratsam regelmäßig mit seinen beiden Kumpels zu tratschen und die Informationen möglichst zügig aufzunehmen – denn sie wiederholen sich ungern. Dasselbe gilt übrigens auch für Rydec: „Ich bin doch kein Papagei“, würde er sagen, oder so ähnlich. Informationen zu untersuchten Hotspots sowie Gesprächsdetails werden also nicht wiederholt, man sollte als Spieler also wirklich „zuhören“ – in der Tat eine echte Herausforderung für Männer! Alternativ kann das männliche Geschlecht natürlich auch auf die oben erwähnte Schritt für Schritt-Hilfe zugreifen, auch wenn diese am eigenen Stolz kratzen dürfte.

Doch sei’s drum! Da Sunrise sonstige Rätselkonstrukte schmerzlich vermissen lässt und die vorhandenen Objekträtsel (Inventarrätsel kann man sie ja nicht mehr nennen) 100 % logisch ausgefallen sind (was ja eigentlich eine gute Sache ist) macht sich doch eine gewisse Eintönigkeit breit, die eben auch von der ständigen Sucherei nach den benötigten Items getragen wird. Zumindest gibt es da noch die inzwischen standardgemäße Hilfefunktion, aber leider beschränkt sich diese auf die Hotspots. Ein- und Ausgänge muss man selber finden, was gar nicht so leicht ist, wenn man bedenkt dass man in New York unterwegs ist und man nie so genau weiß, wann sich wo ein weiterer Zugang zu einem neuen Stadtgebiet erschlossen hat (dies geschieht immer Stückchenweise im Verlauf der Handlung). Ironischerweise waren gerade diese Zugänge das größte Problem während meines Spieldurchlaufs. Man weiß im Vorfeld einfach nicht wo sich ein neuer Weg eröffnet, was mitunter der Hauptgrund für fruchtlose Laufarbeit war. Glücklicherweise entschärft sich dieses Problem sobald man den Van samt integrierter Stadtkarte bekommt, aber dennoch ein nicht zu unterschätzender Kritikpunkt. Um zumindest etwas mehr Substanz in den Spielablauf hinein zu bekommen, spendierte man Rydec das sogenannte „Multitool.“ Hierbei handelt es sich um ein Universalwerkzeug welches ein Messer, eine Zange und einen Schraubendreher beinhaltet. Diese drei Werkzeugvarianten darf man jederzeit auf einen Hotspot anwenden, um entweder einen praktischen Zweck zu erfüllen, oder sich einen dummen Spruch von Rydec zu geben, der zumeist (wenn auch nur indirekt) auf den Geisteszustand des Spielers abzielt – lieber probieren als studieren sag ich da immer zum ollen Ray.

Tja, was gibt es jetzt noch groß zu erwähnen? Zur Steuerung gibt es nichts zu sagen, da sie hier genauso ausfällt wie in jedem anderen Point & Click-Adventure auch – Inklusive fehlender Lauffunktion für unsere Spielfigur (ein weiterer unterschätzter Kritikpunkt) und Doppelklick zum Schnellreisen durch Ein- und Ausgänge. Was bleibt ist ein überraschend generisches Spielerlebnis, das trotz bemühter Innovation weniger Freude bereitet als ein noch generischeres Adventure im Geheimakte-Stil. Immerhin gibt es ein originelles Szenario mit interessanter Story und unverbrauchtem Sitcom-Humor. Auch die Schritt für Schritt-Hilfe hat sich als nützliche Ergänzung herausgestellt (obwohl ich sonst kein Fan von so etwas bin), da ich irgendwie den Eindruck habe das Sunrise – The Game als Interactive-Movie eine wesentlich bessere Figur gemacht hätte denn als Point & Click-Adventure.

Grafik, Sound und Präsentation

Grafik: Optisch merkt man es dem Titel nicht an, dass er mit der kostenfreien Wintermute-Grafikengine erstellt wurde, und diese Aussage ist durchaus positiv gemeint! Ingame setzt Sunrise auf bewährte 2.5 Grafikstandards – also zweidimensionale Renderbilder und dreidimensionale Charaktermodelle. Das sieht gewohnt hübsch aus, gewinnt aber keinerlei Innovationspreise, auch wenn das Szenario „menschenleeres New York“ erfreulich unverbraucht wirkt. Interessanter sind da schon die Zwischensequenzen, die in reiner 3D-Grafik gestaltet wurden. Diese können zwar nicht den Rendersequenzen eines Geheimakte oder Perry Rhodan – und erst recht nicht den 3D-Grafikstandards des Jahres 2007 – das Wasser reichen, sind dafür aber ordentlich umfangreich und wurden, unter Berücksichtigung begrenzter Mittel, durchaus liebevoll programmiert. Alleine das Intro dauert satte 10 Minuten und führt den Spieler hervorragend in die Handlung ein, sehr löblich! Angesichts der steifen Animationen sollte man aber stellenweise beide Augen zudrücken und die Auflösung beträgt auch nur 2.5-typische 1024×768 Bildpunkte.

Sound: Was eigenständige Soundtracks angeht, sieht es in Sunrise ziemlich düster aus. Abgesehen von eins, zwei Ambient-Tracks und dem konstanten Regenschauer ist mir jedenfalls nichts im Kopf hängengeblieben. Stattdessen brilliert der Titel durch Einsatz externer Künstler, deren Tracks vorzugsweise in den 3D-Zwischensequenzen abgespielt werden. Und diese Musiktracks sind sowas von hörenswert, dass sich der Kauf des Spiels alleine hierfür gelohnt hat! Bands wie Five O’s, oder Beyond All Limits mögen unbekannt sein, doch haben sie diesen Status bei weitem nicht verdient! Gott sei dank gibt es das Autoradio im Van, mit dem man sich die Tracks immer wieder auf Tastendruck anhören darf – ein feiner Zug der Entwickler. Noch schöner wäre es natürlich gewesen, wenn man sich die Musik aus dem Programmordner ziehen könnte, aber das wäre wohl zu viel des Guten. Auch bei der Sprachausgabe hat man was springen lassen, werden die vier Charaktere doch von professionellen Sprechern wie Andreas Fröhlich (John Cusack) oder Torsten Michaelis (Wesley Snipes) vertont. Unterm Strich hinterlässt Sunrise in akustischer Hinsicht einen tollen Eindruck!

Präsentation: Man hat sich viel Mühe gegeben Sunrise schön zu präsentieren, und das war auch wichtig, denn das eigentliche Gameplay fällt dann doch zu eintönig aus – selbst für Adventure-Verhältnisse! Da ist es doppelt wichtig dass der Rest stimmt, was hier durchaus gegeben ist. Zwar schwankt die Qualität des Humors recht stark, hat aber dafür auch nichts mit den teils peinlichen Albernheiten anderer Genrevertreter gemeinsam. Schwankend ist auch die Qualität der Grafik, was man dank unverbrauchtem Schauplatz, einem tollen Soundtracks und der hochwertigen Synchro jedoch leicht verschmerzt. Da Story und Charaktere ebenfalls erfreuen, gibt’s von mir ein sauberes Plus!

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Spiel Bewertung
Singleplayer
77
77
Okay
-
Multiplayer

FAZIT

Seitdem ich seinerzeit das Tutorial-Video von Sunrise auf Youtube gesehen hatte, war mir klar, dass ich dieses Spiel haben musste! Im Endeffekt konnte das eigentliche Spiel zwar nicht meine Erwartungen erfüllen, die durch eben jenes Video erzeugt wurden, aber ein Fehlkauf war das Game sicherlich nicht. Zunächst einmal ist es immer wieder schön zu sehen, wenn jemand versucht aus dem Trott ausgelutschter Geheimakte-Style-Adventures auszubrechen. Zwar ging dies auf Kosten des Spielspaßes, aber dennoch freue ich mich über jeden neuen Impuls und bringe dem mutigen Entwickler dann auch entsprechendes Wohlwollen entgegen – vor allem dann, wenn sich jener Entwickler sonst nur an Kehrmaschinen Simulatoren und dergleichen versucht! In Sachen Spielspaß mögen die TML-Studios noch Nachholbedarf haben, aber dafür konnten sie bereits mit einem ungewöhnlichen Szenario, einer interessanter Story, unverbrauchten Sitcom-Humor und nicht zuletzt mit coolen Musiktracks unbekannter aber umso talentierterer Bands, punkten! Man merkt, dass die Programmierer der TML-Studios mit Liebe an ihr Spiel herangegangen sind und dementsprechend positiv fällt dann auch das Gesamterlebnis aus. Wenn man bei der eventuellen Fortsetzung bzw. dem nächsten Adventure jetzt noch fleißig am Spielspaß schraubt und die humoristischen Einlagen besser ausarbeitet, könnte sogar ein Hit daraus werden!

- Von  Volker

MS Windows

Sunrise – The Game REVIEW

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