Ōkami HD REVIEW

Ōkami und ich haben eine lange, doch eher traurige Geschichte miteinander. Als das Spiel von Clover Studio (einem unlängst geschlossenen Entwickler von Publisher Capcom) 2008 auf der PlayStation 2 debütierte habe ich es zwar kurz angespielt, es jedoch schnell wieder weggelegt und vergessen. Die HD-Portierung, die Jahre später mit aufgehübschter Grafik auf der PlayStation 3 veröffentlicht wurde, traf sogar ein noch undankbareres Schicksal, verstaubt sie doch seit jeher vollkommen ungespielt auf der Festplatte meiner Konsole. Was wie eine gescheiterte Beziehung klingt, die von Anfang an nie eine Chance gehabt zu haben scheint, fand dieser Tage aber dennoch ein glückliches Ende, denn im Dezember 2017 hat Capcom Ōkami abermals für die nun aktuelle Konsolengeneration neu aufgelegt und endlich habe auch ich mich vollends an den Klassiker gewagt und im Gegenzug einige der schönsten Stunden, die ich jemals mit einem Videospiel erlebt habe, erhalten.

 

Ein Märchen zum selber spielen

Für die Handlung von Ōkami hat sich Hideki Kamiya von der reichen Kultur seiner Heimat inspirieren lassen. Viele Sagen und Legenden finden ihren Weg in die Handlung des Spiels und bilden einen geradezu märchenhaften Überbau.

Eine düstere Macht fällt in Nippon ein und droht alles Leben zu verschlingen. Flüsse trocknen aus oder verwandeln sich in giftige Lachen, Bäume und Blumen sterben, Tiere verlieren ihren Lebensraum, ganze Landstriche werden von einer alles verschlingenden Schwärze erfasst, während sich gleichzeitig Dämonen im ganzen Land ausbreiten und Angst und Schrecken unter den Menschen verbreiten. Das Inselreich befand sich bereits zuvor einmal in einer ähnlichen Situation, denn damals wie heute hat sich ein achtköpfiges Ungeheuer namens Orochi erhoben die Welt ins Chaos zu stürzen. Seinerzeit wurde der Dämon durch die Zusammenarbeit des tapferen Kriegers Nagi und eines Shiranui genannten Wolfes in die Flucht geschlagen, die Macht und der Körper des Monsters tief in einen Berg versiegelt. Das ist nun 100 Jahre her, der damalige Kampf ist längst eine Legende, seine Helden tot – und Orochi mächtiger denn je zurück. Doch wo das Böse droht Japan zu vernichten, gibt es auch Hoffnung, denn Amaterasu, die Sonnengöttin und eine der wichtigsten Gottheiten der Shinto-Religion, kehrt in der Gestalt einer weißen Wölfin auf die Erde zurück und stellt sich dem Kampf gegen die Dämonen.

Für die Handlung von Ōkami hat sich der auch für die Story des Spieles verantwortlich zeichnende Director Hideki Kamiya (Devil May Cry, Bayonetta) enorm von den Geschichten und Sagen der japanischen Folklore inspirieren lassen. Amaterasu, ihr Compagnon Issun (ein geschrumpfter Maler mit Vorliebe für großzügige Ausschnitte), Orochi, Kaguya und viele andere Figuren und Geschichten, die in dem rund 40 stündigen Abenteuer auftauchen und erzählt werden, haben ihren Ursprung in der Mythologie des Landes und bilden einen geradezu märchenhaften Überbau. Kamiya hat ein kleines Wunder vollbracht, denn er beruft und zitiert sich nicht einfach nur auf bereits bestehende Geschichten, sondern schafft es all die Legenden, Sagen und Figuren zu einem sinnigen Ganzen miteinander zu verweben und etwas Eigenes zu schaffen. Selbst nach längerem Nachdenken ist mir kein anderes Spiel in den Sinn gekommen, welches sich der Geschichte und Tradition des Landes, aus welchem seine Schöpfer stammen, so bewusst ist und es dabei gleichzeitig in ein universell verständliches, wie mitreißendes Erlebnis ummünzt, wie Ōkami.

 

Göttlicher Pinselstrich

Die Grafik von Ōkami orientiert sich am Sumi-e, der japanischen Tuschmalerei. Nicht nur erzeugt das Spiel so eine bis heute einzigartige Grafik, auch wird das künstlerische Konzept direkt ins Gameplay übertragen und lässt euch selbst Hand an einen Pinsel legen.

Der Einfluss der hiesigen Kultur erstreckt sich weit über die Geschichte hinaus und prägt neben dem narrativen, auch das spielerische und audiovisuelle Design. Nirgendwo wird dies so sehr deutlich, wie in der optischen Gestaltung, die von der japanischen Tuschmalerei, dem Sumi-e, inspiriert ist und einen mit starken Konturen und einem feinsinnigen Gespür für seine Verwendung von Farbe eingesetzten Cel-Shading Look setzt. Der ursprüngliche Plan, Ōkami mit einer fotorealistischen Grafik auszustatten, wirkt geradezu befremdlich angesichts der wunderschönen visuellen Gestaltung, die das Spiel letztlich erhalten hat. Selbst zehn Jahre nach seinem Debüt auf der PlayStation 2 können die reiche Farbpalette, die wunderschönen Szenarien, die vielen kleinen Details und die herrlich kindliche Gestaltung der Charaktere meine Augen verzücken. Und auch für die Ohren gibt es einen wunderbaren Mix, der sich aus der reichen musikalischen Historie Japans speist und immer wieder mit neuen Stücken und fremden Klängen zu begeistern weiß.

 

Ein wahrer Geniestreich

Beim Kampfsystem merkt man durchaus die Handschrift von Devil May Cry Vater Hideki Kamiya, allerdings ist der Schwierigkeitsgrad von Ōkami sehr viel humaner angesetzt.

Der wirkliche Geniestreich von Ōkami liegt aber in der Zusammenführung seiner Inspirationsquellen mit dem Spieldesign. Das künstlerische Konzept des Sumi-e wurde nämlich auch ins Gameplay übertragen und lässt den Spieler selbst Hand an einen Pinsel legen, mit welchem die Umgebung beeinflusst und Gegner bekämpft werden können. Insgesamt warten 13 Pinseltechniken darauf, gefunden und benutzt zu werden. Der Kraftstrich beispielsweise fungiert als Schwertersatz und entzweit Bäume oder bricht Blockaden der Gegner, malt man einen runden Kreis in den Nachthimmel, so steigt hingegen die Sonne auf und es wird Tag. Mit selbiger Technik werden tote Bäume und Landstriche wieder mit Leben gefüllt, während eine andere Technik einen Windstoß entfacht und fliegende Gegner vom Himmel zu holen vermag oder brennende Objekte löscht.

Das Pinseln mit dem Analogstick geschieht sehr intuitiv, die Erkennung der einfachen Muster erfolgt nahezu fehlerlos. Wechselt man in den „Pinselmodus“, so wird die Zeit kurzerhand angehalten, sodass man ohne Druck wirken kann. Gerade in den Kämpfen erhält man dadurch einen nicht zu unterschätzenden taktischen Vorteil an die Hand gelegt. Insgesamt sind die Auseinandersetzungen mit den Gegnern gerade in der ersten Spielhälfte zwar sehr einfach, zum Ende hin zieht der Schwierigkeitsgrad allerdings angenehm an und erfordert immer wieder den Einsatz der verschiedenen Pinseltechniken. Gleichzeitig kann sich Amaterasu aber auch mit physischen Angriffen erwehren. Durch das Besiegen von Bossen, teilweise auch durch den Kauf bei Händlern erhält man im Laufe des Abenteuers neue Spiegel, Gebetsketten oder Schwerter, mit deren Hilfe in Echtzeit gekämpft wird. Die Stärke der Waffen lässt sich (ebenso wie die Lebensenergie und einige andere Statuswerte) erhöhen, außerdem kann man bei einem Lehrmeister neue Fähigkeiten lernen und so das Angriffsrepertoire der weißen Wölfin stetig erweitern.

 

Glückseligkeit im alten Japan

Auch zehn Jahre nach seiner erstmaligen Veröffentlichung bewährt sich Ōkami als fesselndes Märchen.

Während Items, Waffen und Fähigkeiten durch den Einsatz von Geld erworben werden, so kann man Lebensenergie, Tintenfüllmenge und andere Werte nur mit Glück erhöhen. Tatsächlich fungiert Glück als eigentlich zentrale Währung, was für sich genommen bereits den sich von anderen Spielen unterscheidenden Ansatz von Ōkami widerspiegelt. Anstelle mit raren Items, großen Geldmengen oder anderen weltlichen Gütern zu locken, erhält man durch das Wiederbeleben von Pflanzen, das Füttern von Tieren und das Erledigen von Hilfsgesuchen stets Glück und einen zufriedenen Bittsteller, was auf den ersten Blick etwas unbefriedigend wirken mag, letztlich aber zu der Philosophie des Spiels passt.

Auf den ersten Blick mag das virtuelle Nippon steril und leer wirken, doch der Eindruck täuscht. Die Welt bietet eine wunderschöne Varianz an sich optisch unterscheidenden Ortschaften: so wird man durch dunkle Wälder und verträumte Dörfer kommen, in Tropfsteinhöhlen Rätsel lösen, an malerischen Stränden und Küstengebieten entlang laufen und in einer riesigen Kaiserstadt auf Erkundungstour gehen. Obwohl die Welt mit vergleichsweise wenigen Tieren und Menschen bevölkert ist, so fühlt sie sich doch zu jederzeit lebendig an. Dazu tragen insbesondere die Nicht-Spieler-Figuren bei. Jede noch so kleine Figur hat mit mal mehr, mal weniger Dialogzeilen einen eigenen Charakter verpasst bekommen und bleibt im Gedächtnis. Hervorzuheben sei außerdem die deutsche Lokalisation, die verspielt ist und einen sehr eigenen Humor aufweist.

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Spiel Bewertung
Singleplayer
90
90
Super
-
Multiplayer

FAZIT

Ganze zehn Jahre hat es gedauert, bis Ōkami mein Herz endlich für sich gewinnen konnte. Mit jeder Stunde, die ich im feudalen Japan verbracht habe, mit jedem neuen Abenteuer, welches ich erlebt habe, mit jeder neuen Figur, die ich getroffen habe, und jedem neuen Geheimnis, welches ich gelüftet habe, hat mich die Geschichte von Wölfin Amaterasu und ihrem kleinen Begleiter Issun mehr und mehr verzaubert. Selten habe ich ein Spiel erlebt, welches so viel Kreativität, Liebe und Seele vereint und dabei sowohl in audiovisueller, wie spielerischer Hinsicht so frisch und sprudelnd vor neuen Ideen daher kommt. Würde ich es nicht wissen, so würde ich niemals auf den Gedanken kommen, dass das Spiel erstmals 2008 erschienen ist, denn Alterserscheinungen weist das Abenteuer der Sonnengöttin nahezu keine auf. Ganz im Gegenteil sogar, denn auch 2018 ist Ōkami in jeder Faser innovativ und neuartig. Hideki Kamiya und sein Team haben hier nicht nur ein zeitloses Meisterwerk geschaffen, sondern auch ein spielbares Märchen, eine Hommage an Japan und an das Medium Videospiel selbst.

- Von  Adrian

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USK 12 PEGI 12

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