Mean Streets REVIEW

Jüngst bin ich erstmals in den Genuss eines Tex Murphy-Spiels gekommen. Durch Kickstarter wurde die Serie wiederbelebt und ein sechster Teil veröffentlicht. Dieser nennt sich Tesla Effect und hat mir einiges an Freude bereitet. Genug Freude, dass ich mich entschloss die fünf Vorgänger im Paket auf Good old Games zuzulegen. Inzwischen hab ich auch schon den ersten großen Fall des leicht trotteligen Privatdetektivs aus San Francisco erfolgreich abgeschlossen. Ob dieser alte DOS- und Heimcomputer-Klassiker aus dem Jahre 1989 auch heute noch spielbar ist oder nicht, erfahrt ihr hier bei mir.

 

Mord oder Selbstmord, das ist hier die Frage


Tex Murphy ist ein Privatdetektiv der seine Fähigkeiten in San Francisco des Jahres 2033 zur Verfügung stellt. Der dritte Weltkrieg welcher 1998 mit atomaren Waffen ausgefochten wurde hat auf der Welt deutliche Spuren hinterlassen. Der Himmel ist durch die Radioaktivität in bedrohliches Rot getaucht. Viele Menschen mutierten durch die atomare Strahlung in groteske Gestalten, andere hingegen sind gegen die Strahlung einigermaßen resistent und erfreuen sich ihres mehr oder weniger normalen Äußeren – folglich werden Begriffe wie „Norms,“ „Freaks“ und „Mutanten“ genutzt, um sich voneinander abzugrenzen. Am allgemeinen Mitgefühl der Menschheit hat sich seit dem atomaren Krieg also nichts geändert. Vor allem die entstellten Mutanten sind oftmals Zielscheiben rassistischer Gruppierungen und Opfer allgemeiner Zweiklassengesellschafts-Politik. Aktueller Tiefpunkt dieser Problematik ist die rechtsradikale Law and Order-Partei, die ihren Einfluss stetig ausweitet. Der technische Fortschritt zeigt sich durch oben genannte Probleme jedoch völlig unbeeindruckt. Fliegende Automobile, die sogenannten Speeder, sind dieser Tage das Fortbewegungsmittel Nr. 1 und örtliche Megakonzerne wie Gideon Enterprises und dessen Tochter-Firma MTC Corp treiben den wissenschaftlichen Fortschritt stetig voran.

Dies ist die Welt in der Murphy überleben muss. Ausgestattet mit Schießeisen, Sekretärin und Speeder macht er sich auf, um seinen aktuellen Fall zu lösen. Die scharfe Blondine Sylvia Linsky hat Tex 10.000 $ in die Hand gedrückt mit der Anweisung den angeblichen Selbstmord ihres Vaters Professor Carl Linsky zu untersuchen. Sie glaubt nicht, dass sich ihr alter Herr aus freien Stücken von der Golden Gate Bridge gestürzt hat, wie von der Polizei behauptet wird. Recht bald findet Tex Indizien die darauf hindeuten, dass Carl’s Tod mit seiner Arbeit als Neuropsychologe bei der zwielichtigen MTC Corp zusammenhängt, aber selbst diese Erkenntnis ist nur die Spitze des Eisberges. Bald wird klar, dass Tex Murphy’s Ermittlungen über die Zukunft der gesamten Menschheit entscheiden werden!

Handlung und Spielwelt wirken im Spiel leider nicht ganz so spannend wie von mir beschrieben wurde. Es handelt sich um ein sehr dialoglastiges Spiel, dementsprechend wird der Großteil der Story anhand von Textboxen und der eigenen Vorstellungskraft präsentiert. Vorteilhaft hierbei ist natürlich, dass ein sehr gutes Detektivfeeling aufkommt, denn zur Detektivarbeit gehört nun einmal die Verdächtigen- und Zeugenbefragung. Hin und wieder lässt sich auch der Humor blicken, für den ja die späteren Serienteile Berühmtheit erlangt haben. So erfährt der Spieler nebenbei, das Michael J. Fox inzwischen Präsident geworden ist und schon den 17ten Zurück in die Zukunft-Steifen gedreht hat, die Verlobte des Opfers entpuppt sich als fette, deformierte Trulla mit Namen Delores „Lightbody“ und Tex kreischt schon in seinem ersten Spiel wie ein kleines Mädchen wenn er durch seine trotteligen Aktionen verletzt oder getötet wird. Alles in allem bildet dieses Spiel einen vorzeigbaren Grundstein für die späteren Teile.



Das wichtigste Werkzeug eines Detektivs ist sein Notizblock


Bevor ihr euch ins Spiel stürzt nehmt euch erst mal die Zeit das Handbuch durchzulesen. Glaubt mir, ihr werdet diese Lektüre dringend benötigen! Das macht sich schon direkt zu Beginn bemerkbar. Nach der Einleitung findet ihr euch im Pilotensitz von Murphy’s Speeder wieder und müsst gucken wo ihr bleibt. Einziger Sinn der Flugpassagen ist es von Punkt A nach B zu gelangen, die Frage ist nur wie ihr das handhaben wollt. Wer keine Geduld für sperrige Flugsimulationen der späten 80er aufbringt, der sollte sich am besten gleich vom Gedanken verabschieden die Kiste eigenhändig zu steuern. Zum Glück ist ein Navigationscomputer im Speeder integriert, mit dessen Hilfe man den Flug dem Autopiloten überlassen kann. Entweder ihr gebt einen vierstelligen Zahlencode ein, um den Computer die Route berechnen zu lassen oder ihr markiert den Zielort per Cursor und Koordinatensystem auf dem Landkarten-Screen. Letztere Variante ist jedoch zu fummelig und ohnehin unnötig, es sei denn ihr wollt auf Kopfgeldjagd gehen, aber dazu später mehr. Spätestens jetzt kommt das Handbuch ins Spiel, denn die ersten Navigationscodes (kurz NC) für die Wohnorte der zahlreichen NPC’s und Ortschaften findet ihr ausschließlich im Handbuch. Bedenkt auch, dass der Speeder als Ersatz für Murphy’s Büro dient. Hier könnt ihr nicht nur abspeichern und erbeutete Gegenstände über den Inventar-Screen verkaufen, sondern auch noch Telefonate führen und Faxe empfangen. Habt ihr eure erste Autopilot- bzw. Flugsession hinter euch gebracht geht’s auch gleich mit dem nächsten Spielsegment weiter, der Befragung von NPC’s.

Seid ihr am Ziel angelangt und steht einer Person gegenüber, könnt ihr sie sowohl über wichtige Themen wie z. B. MTC Corp oder Law and Order als auch über sämtliche Charaktere denen ihr im Spiel begegnet ausquetschen. Je nachdem ob die Person was interessantes dazu zu erzählen hat, erhaltet ihr dann weitere Informationen und im Idealfall sogar einen neuen NC oder Schlüsselgegenstand. Die Namen und Begriffe (letztere werden übrigens allesamt im Handbuch genannt) müssen übrigens eigenhändig per Tastatur eingegeben werden, weswegen auf Rechtschreibung zu achten ist (vor allem wegen der Z/Y-Problematik bei englischsprachigen Spielen). Nicht jeder Gesprächspartner ist jedoch hundertprozentig kooperativ. Sollte der NPC die Auskunft verweigern habt ihr zwei Möglichkeiten zu reagieren. Entweder ihr zahlt via „Bribe“-Befehl ein Bestechungsgeld, dessen Mindesthöhe ihr selber schätzen müsst oder ihr bedroht euer Gegenüber mit verbaler oder körperlicher Gewalt („Threaten“-Befehl). Letztere Option kann bei manchen NPC’s aber auch mal in die Hose gehen, also Vorsicht. Aufgrund der schieren Menge an NPC’s und Navigationscodes ist es übrigens absolut ratsam einen Notizblock zu führen, damit man nicht den Überblick verliert. Glaubt mir ihr werdet ihn benötigen! Für den Fall, dass ihr doch mal in einer Sackgasse landet, gibt es noch die beiden Schönheiten Vanessa und Lee Chin. Erstere ist Tex‘ Sekretärin und letztere seine Informantin. Beide lassen sich durch das im Speeder integrierte Videotelefon kontaktieren und senden ihre Ermittlungsergebnisse per Fax zu. Vergesst jedoch nicht, das Lee ihre Leistung nur gegen Bares anbietet!

An manchen NC-Adressen erwartet euch auf dem Weg zum eigentlichen Zielort eine Action-Passage. Hier müsst ihr euch durch zwei 2D-Screens voran kämpfen. Schießwütige Gestalten spawnen unentwegt und pumpen die Luft mit Blei voll. Durch ducken weicht man den feindlichen Projektilen aus, um den Abschaum anschließend mit blauen Bohnen zu füttern. Eigentliches Ziel hierbei ist jedoch sich von links nach rechts durchzuschlagen, was durch das Gegnerrespawning nicht so leicht ist wie es klingt. Auch sollte man seine Kugeln geschickt abfeuern, denn Murphys Munitionsvorrat ist begrenzt. Sollte einem doch mal die Munition zur Neige gehen oder das benötigte Bestechungsgeld zusammenschrumpfen ist es zeit sich auf Kopfgeldjagd zu begeben. Im Handbuch stehen sieben Adress-Koordinaten, an denen ihr die eben beschrieben Shootouts auf maximaler Schwierigkeitsstufe absolvieren könnt (der Schwierigkeitsgrad, der sich auch im Optionsmenü von Stufe 1-3 regulieren lässt, ändert lediglich die Geschwindigkeit feindlicher Projektile). Gelingt dies, gibt’s Geld und Munition als Belohnung. Wesentlich eleganter ist es jedoch Munition und Wertsachen in den Adventure-Screens aufzuspüren. Letztere könnt ihr dann im Pawn-Shop übers Inventar-Menü verscherbeln.

Tja, und damit wären wir dann auch im letzten Spielsegment angelangt, den Adventure-Screens. Mit den Pfeiltasten steuert man den fußlahmen Tex durch den jeweiligen Raum und öffnet an bestimmten Hotspots die Aktionsleiste mit Enter. Hier bekommt ihr dann ne kleine Auflistung aller Objekte mit denen ihr interagieren könnt. Die Zeile unter der Auflistung zeigt die Aktionen an, die unser Detektiv ausführen darf. Für jeden der englisch kann sind die Begriffe Look, Get, Move, Open, On/Off, Taste und Back mehr oder weniger selbsterklärend. Im Zweifel hilft auch stures Trial & Error weiter. Allzu forsche Naturen können hierbei auch mal einen Alarm auslösen, vor allem dann, wenn man ein gewinnbringendes Wertobjekt einsackt. Sollte dies geschehen, habt ihr 5-10 Minuten Zeit den entsprechenden Schalter zu finden, um die doofe Alarmanlage zu deaktivieren, ansonsten wird Tex eingebuchtet und es heißt Game Over. Game Over heißt es übrigens auch, wenn ihr den armen Detektiv irgend ne Chemikalie hinter die Binde kippen oder ihn einen Käfig mit einem wütenden Gorilla öffnen lasst. Also immer brav speichern bevor ihr aus dem Speeder aussteigt.;)

Unterm Strich ist das ca. 10-stündige Abenteuer ein richtig gutes Detektiv-Spiel. Vor allem durch den notwendigen Einsatz eines realen Notizblocks fühlt man sich wie ein richtiger Privatermittler und freut sich über jeden neuen Code und Charakter den man notieren kann. Wer hierbei den Überblick behält, stellt auch schnell fest, dass Mean Streets eigentlich kein allzu schweres Spiel ist. Ich persönlich hab nur zweimal eine Lösung gebraucht, einmal beim zusammensetzen eines Passworts aus nem Buchstabensalat und bei diesen blöden Roboterrätsel kurz vorm Schluss, dabei hatte ich bei Letzteren sogar die richtige Idee. Etwas nervig ist die Steuerung, die sich auf die Tastatur beschränkt und manchmal etwas fummelig wirkt. Auch das Schlussrätsel bei dem man 60 Sekunden Zeit hat seine Aufgabe zu erfüllen war eine ganz schöne Zitterpartie. Wirklich zu kritisieren sind jedoch die zeitaufwändigen Flugpassagen (ein Flug kann da auch schon mal ein paar Minuten dauern) und die eher lästigen Shootouts. Dennoch sollten Hobbydetektive diesem alten Schinken eine Chance geben!

 

Grafik, Sound und weiteres

Tex Murphy-Spiele und FMV sind etwas was Hand in Hand geht. Obwohl man bei Mean Streets noch nicht von FMV sprechen kann, so wurde doch schon hier mit realen Personen gearbeitet, die Modell für einen Großteil der Charaktere im Spiel standen. So stand Chefdesigner Chris Jones bereits in diesem Spiel Pate für den Hauptcharakter Tex Murphy. Eine Rolle die er übrigens auch in den fünf Fortsetzungen für sich beansprucht! Abgesehen davon sehen die animierten Charakersprites echt nett aus und lassen die Gespräche wesentlich lebendiger erscheinen, zumal sie je nach Laune auch fröhliche oder wütende Grimassen ziehen. Die 3D Landschaft in den Flugpassagen wirkt mit ihren einfarbigen Polygonen hingegen sehr detailarm. Allzu viel bekommt man von dieser aber ohnehin nicht zu sehen, da ein Großteil des Screens vom Cockpit des Speeders vereinnahmt wird (da fällt mir ein, dass es sogar verschiedene Kameraperspektiven für die Flugpassagen gibt, aber wie gesagt, ich setze auf den Autopiloten). Die Adventure-Screens wirken ein bisschen arg grobpixelig, erfüllen jedoch ihre Aufgabe.

Großes Lob hat das Spiel für seinen damals hochmodernen 256-color VGA-Grafikmodus eingeheimst, welcher erlaubt das Spiel in der seinerzeit maximalen Auflösungsstufe zu spielen. Ja, ihr seht, dass Bildschirmauflösungen schon damals ein ganz großes Thema waren.;)

Es gibt nur eine Melodie in Mean Streets, das Maintheme, welches man vereinzelt auch mal im eigentlichen Spiel zu hören bekommt. Immerhin klingt dieses Stück absolut passend. Es macht Lust den Fall in Angriff zu nehmen. Abgesehen davon muss man mit Geräuscheffekten vorlieb nehmen, die für heutige Verhältnisse natürlich absolut primitiv klingen. Aber immer noch besser die Motorengeräusche des Speeders oder Tex tapsende Fußschritte zu hören als gar nichts. Cool für so ein altes Spiel ist dafür die sehr sporadisch auftretende Sprachausgabe. War damals sicherlich ein nettes kleines Gimmick.

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Spiel Bewertung
Singleplayer
75
75
Okay
-
Multiplayer

FAZIT

Für jemanden der nicht mit antiken DOS- oder Heimcomputer-Spielen aufgewachsen ist, ist es sehr schwer in solche alten Klassiker hineinzufinden. Bei Mean Streets ist mir der Einstieg, nach Lektüre des Handbuchs, aber erfreulich leicht gefallen. Belohnt wurde ich nicht nur mit einem guten Detektivspiel, sondern auch mit einem interessanten Stück Computerspielgeschichte im allgemeinen. Darüber hinaus war Mean Streets auch das Sprungbrett für eine tolle Adventure-Serie, dessen Fortsetzungen zu den besten Spielen des FMV-Subgenres zählen. Also los! Schnappt euch einen Notizblock, macht es euch im Speeder gemütlich und klärt den vermeintlichen Selbstmord!

- Von  Volker

MS Windows

Mean Streets REVIEW

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